Smartphones für Fotografen

KLAPPT UND KNIPST IMMER BESSER

Smartphones sind aus dem privaten Alltag wie aus der Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken, doch wie schaut es in der Kameraabteilung aus? Taugen die Mobiltelefone auch als Arbeitsgeräte für Fotografen?

Anstatt die Nase zu rümpfen, nehmen echte Profis bei einer guten Fotogelegenheit einfach das beste Werkzeug, das sie gerade zur Hand haben – und sei es ein Smartphone. Mit jeder Modellgeneration fällt die Entscheidung leichter, weil die Hersteller die Einsatzmöglichkeiten und Bildqualität immer noch zu verbessern wissen. Insbesondere bei Telezoom, HDR, Porträts mit Bokeh und der Low-Light-Fotografie haben Smartphones stark aufgeholt und verkürzen den Abstand zur Kamera. Außerdem schrauben die Hersteller auch die Display-Qualität sowie die Rechen- und Speicherleistung in immer neue Höhen.

Triple-Kamera als neuer Standard
Die Güte der Kamera bleibt ein Hauptverkaufsargument. Ein zentraler Hebel ist der Trend zu Multikameras. Waren zunächst zwei Aufnahmeeinheiten auf der Rückseite eine echte Innovation, sind bei Oberklasse-Geräten aktuell drei Objektive und Sensoren die Norm. Jede Aufnahmeeinheit steht für eine andere Festbrennweite. So können Hersteller eine Art Zoom anbieten, ohne das Gerät dicker zu konstruieren. Weil es sich tatsächlich um eine optische Lösung handelt und nicht einfach um einen digitalen Zoom, geht dabei auch keine Bildqualität verloren. Beispielsweise kombinieren das Samsung Galaxy S10, das LG V40 ThinQ (beide je ab 899 Euro) sowie das Sony Xperia 1 (950 Euro) ein Standardweitwinkel (etwa 25 bis 28 mm gemäß KB-Format), ein Ultraweitwinkel (13 bis 16 mm) und eine normale Brennweite um die 50 mm. Im Marktjargon geht Letztere allerdings schon als Tele durch. Huawei legt noch eine Schippe drauf. Nach einem dreifachen Telezoom im P20 Pro und Mate 20 Pro mit einer Brennweite um die 80 mm folgt im brandneuen P30 Pro (ab 999 Euro) sogar eine fünffache Vergrößerung auf 125 mm. Als erster Mainstream-Hersteller verwendet Huawei dafür ein Prisma, damit das Smartphone-Gehäuse normal dünn bleiben kann (10 mm). Andere Marken dürften bald folgen. Der hierzulande kaum bekannte Hersteller Oppo hat bereits ein Kameramodul mit zehnfacher Vergrößerung angekündigt. Die Abbildungsleistung im Telebereich ist inzwischen sehr ansehnlich, mit den typischen Verzeichnungen im Ultraweitwinkelbereich haben die von uns getesteten Lösungen von LG und Samsung aber noch ihre Probleme. Ärgerlich ist in diesem Zusammenhang, dass sich die zusätzlichen Brennweiten nur im JPEG-, aber nicht im RAW-Modus nutzen lassen, was Möglichkeiten zur Nachbearbeitung einschränkt. Wer auf den großen Zoomfaktor sowie auf das Ultraweitwinkel der Triple-Kamera-Modelle verzichten mag, kann auch weiterhin zu Smartphones mit Doppeloptik und Zweifachzoom greifen, wie etwa beim Apple iPhone Xs Max (ab 1.149 Euro). Doch der Trend geht eindeutig zu Kameras mit einer vielfachen Anzahl an Aufnahmeeinheiten.

High five
Satte fünf Kameras vereint das Nokia 9 PureView (649 Euro). Statt unterschiedliche Brennweiten bieten die drei Monochrom- und zwei Farbsensoren mit je 12 Megapixeln mehr Dynamikumfang und Detailreichtum. Wie beim klassischen Bracketing schießt das Gerät mehrere Bilder mit unterschiedlicher Belichtung nacheinander und verrechnet diese dann zu einer Aufnahme. Nokia-Markeninhaber HMD Global bedient sich dabei der Technik von Multikamera-Spezialist Light, der künftig auch Sony und Xiaomi sein Know-how zur Verfügung stellen wird. Die bisherigen Testergebnisse zum Nokia 9 PureView sind in Sachen Schärfe und Geschwindigkeit zwar ernüchternd, doch durch Software-Updates kann die Leistung noch reifen.

Rechenpower und Künstliche Intelligenz
Mehr als von der optischen Güte hängt die Qualität von Smartphone-Kameras von der Rechenleistung und dem Zusammenspiel mit der Bildverarbeitungssoftware ab. Zwar sind die Objektive mit Fixblenden zwischen f/1,5 und f/2,6 relativ lichtstark. Doch aus den miniaturhaften Linsenkonstruktionen und winzigen Sensoren lässt sich nur mit der Hilfe ausgefeilter Software eine anständige Qualität herausholen. Weil die Prozessoren der Mobilgeräte mittlerweile Desktop-Niveau erreicht haben, sind aber selbst komplexe Berechnungen kein Engpass mehr. Immer häufiger trainieren Hersteller daher ihre Kameraalgorithmen dazu mit Künstlicher Intelligenz. Der Mehrwert variiert. Einsteiger freuen sich, dass etwa die Kamera-App des Galaxy S10 Vorschläge zur Bildkomposition unterbreitet, doch fortgeschrittene Anwender stört das eher. Außerdem sorgt die maschinell trainierte Motiverkennung beispielsweise bei Huawei und LG für zum Teil übersättigte Farben, erweitert aber bei schwierigen Lichtbedingungen auf verblüffende Weise den Kontrastumfang. Insbesondere mit Huawei-Geräten sind dank des KI-Einsatzes nachts verwacklungsfreie Langzeitbelichtungen ohne Stativ möglich. Eine echte Revolution! Ferner gelingt es der Kamerasoftware hochwertiger Smartphones inzwischen nahezu perfekt, Porträts mit künstlerischer Hintergrundunschärfe zu versehen. Diese Bokeh-Simulation fällt zwar leichter, wenn zwei Kameras Abstandsinformationen aufzeichnen und verrechnen. Aber KI-Spezialisten wie die von Google kriegen das im Modell Pixel 3 sogar schon mit einer Optik überzeugend hin. Am besten klappt der Effekt bei frontalen Porträts und mit einem gewissen Mindestabstand. Ganz so frei und kreativ mit der Unschärfe spielen wie bei herkömmlichen Kameras geht jedoch noch nicht. Daran wird auch nichts ändern, dass Vorreiter wie Samsung und Huawei künftig auf die bessere Abstandsmessung sogenannter Time-of-Flight-Kameras setzen.

Weitere Tests und Infos finden Sie in der Photographie Ausgabe 06/19 oder im E-Paper

Text: Berti Kolbow-Lehradt, Julia Froolyks