Gesellschaft im Wandel der Zeit
In der aktuell laufenden Rentendebatte rücken zunehmend Migranten ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Könnten Ihnen etwa für die Aufrechterhaltung des Generationenvertrages in Zukunft eine entscheidende Rolle zukommen? Das wird erst im Rückblick zu bewerten sein. Diesen gibt es schon einmal ab 19. Juni im Kölner Museum Ludwig aus einer Zeit als Arbeiter aus Italien, Spanien, Portugal, Griechenland und der Türkei für den Wiederaufbau Deutschlands nach dem Krieg angeworben worden waren. Privatfotografien mit ihren Geschichten dazu erinnern an damals …
Fotografien von Köln und weiteren Städten des Rheinlands zwischen 1955 und 1989 machen den stetigen Wandel durch die BewohnerInnen sichtbar. Die Fotogeschichten von ArbeitsmigrantInnen sind bislang kaum in das öffentliche visuelle Gedächtnis der Städte eingegangen. In der Ausstellung Vor Ort: Fotogeschichten zur Migration im Museum Ludwig stehen vom 19. Juni bis zum 3. Oktober 2021 daher erstmals Privatfotografien im Mittelpunkt.
Ein wichtiger Ausgangspunkt sind hierbei die Zeugnisse der Migrationsgeschichten aus dem Bestand von DOMiD. In Interviews geben die LeihgeberInnen der Ausstellung über ihre vielfältigen Geschichten Auskunft. Sie erzählen über das Leben in der Stadt und wie sie durch ihre Einwanderung belebt wurde. Ihre privaten Fotografien zeigen auf, wie Straßen, Häuser, Geschäfte, Lokale und Parks zu Trägern von Erinnerung und zum Teil der Stadtgeschichte werden. Die Ausstellung thematisiert die Rolle der Fotografie in diesem Zusammenhang. Sie kombiniert die neuen und überraschenden Stadtansichten mit den Fotografien urbanen Lebens von Chargesheimer, Candida Höfer und Ulrich Tillmann aus der Sammlung des Museum Ludwig und ergänzt sie um Aufnahmen von Christel Fomm, Gernot Huber, Guenay Ulutuncok und anderen. Jenseits der flüchtigen Erfahrungen des Lebens in der Stadt zeigen die Fotogeschichten von Migration, auf welch vielfältige Weise man sich in einer neuen Stadt verorten kann.
Die Ausstellungsidee geht auf die Architekturhistorikerin und Gastkuratorin Ela Kaçel zurück. Sie entdeckte in verschiedenen Publikationen der Stadt Köln und der Wohnbaugesellschaft GAG Immobilien AG Fotografien von Wohnanlagen der 1950er und 60er Jahre, die herausgehobene Wahrzeichen des „Neuen Kölns“ sind. Zugleich waren die Hochhäuser für ArbeiterInnen gedacht, die im Rahmen der sogenannten Anwerbeabkommen der damaligen Bundesrepublik vor allem mit Italien, Spanien, Portugal, Griechenland und der Türkei nach Köln gekommen waren. In den viel veröffentlichten Aufnahmen der neuen Stadtviertel sind die markanten Wohnblocks als prägende architektonische Erscheinungen präsent. Die ikonisch gewordenen Fotografien haben Stadtgeschichte geschrieben.
Als Pendant zu diesen menschenleeren Aufnahmen der „Türme der Gastarbeiter“ entdeckte Ela Kaçel in Privatalben Selbstaufnahmen der BewohnerInnen, die sich vor und in den Gebäuden fotografieren ließen. Dies führte sie gemeinsam mit der Kuratorin Barbara Engelbach zur Frage, wie Arbeitsmigration im urbanen Raum in öffentlichen Fotografien zwischen 1955 und 1989 repräsentiert wird und wie sich MigrantInnen selbst als StadtbewohnerInnen fotografierten. Wie trägt die fotografische Praxis zur Verortung und damit zur Schaffung von stadt- und ortsbezogener Erinnerung bei? Mit den großzügigen Leihgaben der StadtbewohnerInnen und ihren Interviews können die vielfältigen Privatfotografien und Fotogeschichten über Ankommen, Eingliederung und Mobilität, Selbstverortung und politisches Engagement, Teilhabe und Selbstreflexion vermittelt werden. Mit ihnen wird es möglich, das kollektive Gedächtnis einer postmigrantischen Gesellschaft zu erkennen und ihre Stadtgeschichten festzuhalten.
Yilmaz Dziewior, Direktor des Museum Ludwig: „Der Schwerpunkt auf private Fotografien verändert auch die Perspektive auf die Museumssammlung. Hierdurch vermitteln sich ganz unterschiedliche Erzählungen über das Ankommen in einer neuen Stadt im Rheinland.“ Das Ausstellungsprojekt ist eine Kooperation mit DOMiD/ Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V. Kuratorische Beratung durch Manuel Gogos und Aurora Rodonò. Kuratorinnen: Ela Kaçel (Architekturhistorikerin und Gastkuratorin) und Barbara Engelbach (Kuratorin). Die Ausstellung wird unterstützt durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, den Landschaftsverband Rheinland und die GAG Immobilien AG.