Mehr Schärfe durch Abblenden?

Die unvermeidliche Beugung

Von allen Ursachen der Unschärfe in Fotos ist die Beugung die kniffligste. Weder die Hersteller von Kameras und Objektiven noch der Fotograf selbst können etwas dagegen tun, denn Beugungsunschärfe liegt in der Natur des Lichts.

Von Michael Hussmann | Objektivhersteller setzen ihren Ehrgeiz daran, dass ihre Produkte das Licht zu einem Punkt bündeln, weshalb Abbildungsfehler wie die sphärische Aberration korrigiert werden. Ein Bildstabilisator oder ein Stativ können Verwacklungsunschärfe verhindern und die automatische oder manuelle Fokussierung sorgt dafür, dass ein scharfes Bild auf dem Sensor statt davor oder dahinter entsteht. Nachdem aber alles mögliche getan ist, bleibt eine Ursache von Unschärfe übrig: die Beugung. Die durch sie verursachte Unschärfe nimmt beim Abblenden sogar zu, obwohl damit gleichzeitig Abbildungsfehler verringert und die Schärfentiefe vergrößert werden. Wegen der Unabwendbarkeit der Beugungsunschärfe ist es das größte Lob, wenn ein Objektiv als beugungsbegrenzt bezeichnet wird – es bildet also so scharf ab, dass nur noch die unvermeidliche Beugung der Schärfe eine Grenze setzt.

Ein wirksames Mittel gegen Beugungsunschärfe – gerade in der Makrofotografie – ist das Stitching, bei dem mehrere Aufnahmen mit offener Blende und einer in der Tiefe variierenden Fokusebene übereinandergelegt werden. Foto: Björn Langlotz für Novoflex.

Was ist Beugung?
Die Beugung entsteht an der Blende oder generell immer dann, wenn Licht eine Öffnung passiert, denn dabei wird ein Teil des Lichts von seinem Weg abgelenkt. Das ist schwer verständlich, wenn man sich Licht als Strom von Lichtteilchen, den Photonen, vorstellt. Ein Photon müsste die Blendenöffnung entweder treffen und in gerader Linie weiterfliegen oder diese verfehlen und von den Blendenlamellen absorbiert werden, aber so oder so gäbe es keine Ablenkung. Bestimmte Phänomene lassen sich nur verstehen, wenn man Licht als eine elektromagnetische Welle betrachtet – und dazu gehört die Beugung. Im 17. Jahrhundert stritten sich Newton und Huygens noch darüber, ob Licht nun aus Teilchen oder aus Wellen bestünde, heute wissen wir, dass in gewisser Weise beide recht hatten. Dieser Welle-Teilchen-Dualismus des Lichts klingt widersprüchlich und ist es auch. Aber nur wenn man beide Sichtweisen akzeptiert, kann man verstehen, wie sich das Licht ausbreitet. Vertrauen wir also der Physik und schauen uns an, was mit einer Lichtwelle passiert, die auf eine Öffnung trifft. Lichtwellen breiten sich aus wie Wasserwellen auf einem Teich, in den man einen Stein wirft, also kreisförmig. In dem Licht, das auf das Objektiv trifft, gibt es unzählige solcher Wellen, die sich zu einer geraden Wellenfront überlagern – ganz ähnlich den Meereswellen, die an den Strand rollen. Muss eine solche Wellenfront nun aber eine Öffnung passieren, zeigt sich am Rand die ursprüngliche Kreisform der Wellen, die sich überallhin – und damit auch in die vermeintliche Schattenzone hinein – ausbreiten. Das Licht wird also am Blendenrand gar nicht abgelenkt, sondern es breitet sich vielmehr genauso aus, wie es das immer tut. Eine Sammellinse – und ein Objektiv fungiert ja insgesamt als Sammellinse, auch wenn es in der Praxis aus mehreren Sammel- und Zerstreuungslinsen besteht – kann die Wellenfront zu einem Punkt bündeln. Aber diesen Punkt umgibt eine verschwommene Wolke: das Beugungsscheibchen, das sich durch die Fokussierung nicht beseitigen lässt. Genau genommen ist dieses Scheibchen (englisch auch als „Airy disk“ bezeichnet) noch von konzentrischen Kreisen umgeben. Diese entstehen dadurch, dass die gebeugten Lichtwellen unterschiedlich lange Wege zurücklegen. Dort, wo sich Wellenberge überlagern, entsteht ein heller Ring, während sich die Wellen in Bereichen, in denen Wellenberg auf Wellental trifft, gegenseitig auslöschen. Diese Kreise um das Beugungsscheibchen sind aber dunkler als dieses und daher zu vernachlässigen.

Beugung erzeugt Unschärfe
Die Größe des Beugungsscheibchens (und damit das Ausmaß der Beugungsunschärfe) hängt von der Wellenlänge des Lichts und der Blende ab. Langwelliges rotes Licht wird stärker gebeugt als kurzwelliges blaues oder violettes Licht. Der wesentliche Faktor ist aber die Blende: Je größer die Blendenzahl (und je kleiner daher die Blendenöffnung), desto größer ist die Beugungsunschärfe. Das beste Mittel, die Unschärfe zu vermeiden, wäre daher eine große Blendenöffnung. Aus diesem Grund bevorzugen Astronomen Teleskope mit einer möglichst großen Öffnung, mit der man nicht nur mehr Licht einfängt, sondern auch feinere Details auflösen kann. Dass beispielsweise das Hubble-Weltraumteleskop mit seinem 2,4-Meter-Spiegel nicht die Hinterlassenschaften der Apollo-Astronauten auf dem Mond abbilden kann, liegt vor allem daran, dass es dazu einen vielfach größeren Durchmesser haben müsste. Für die Belange der Fotografie ist eine große Öffnung aber oft kein gangbarer Weg. Die Blende kann prinzipiell nicht größer als das Doppelte der Brennweite werden (f/0,5) und schon eine Öffnung in der Größenordnung der Brennweite (f/1,0) erfordert eine sehr aufwendige optische Konstruktion. Zudem geht eine große Blende mit einer geringen Schärfentiefe einher, die längst nicht immer erwünscht ist. Im Nahbereich ist die Schärfenzone besonders schmal und so gerät man gerade bei Makroaufnahmen oft in das Dilemma, dass eine große Blende zu wenig Schärfentiefe bringt, Abblenden aber die Beugungsunschärfe vergrößert und auch fokussierte Details schlechter aufgelöst werden. Welche Auswirkung die Beugung auf die Bilder hat, hängt aber auch von der Sensorauflösung, genauer gesagt dem Pixelraster des Sensors, ab.

Das Phänomen der Beugung lässt sich durch den Welle-Teilchen-Dualismus des Lichts erklären. Muss das Licht eine
Öffnung passieren, breiten sich die Wellen in alle Richtungen aus, auch in die vermeintlichen Schattenbereiche (rechts).
Daran ändert auch der Einsatz eines Objektivs – vereinfacht einer Sammellinse – nichts (links). Die vermag das Licht
zwar in einem Punkt zu bündeln, kann aber nicht verhindern, dass diesen eine verschwommene Wolke umgibt. Abbildungen Michael Hussmann.

Pixel und Blende
Bei einer Blende von f/2,8 entstehen Beugungsscheibchen von knapp 4 µm Durchmesser. Genauer gesagt gilt dies für eine mittlere Wellenlänge von 555 nm, also grünem Licht. Da die meisten Sensoren und unsere Augen grünes Licht am besten auflösen, ist das eine zweckmäßige Wahl. Wie sieht nun ein solches Beugungsscheibchen aus der Sicht des Sensors aus? Die Sensoren aktueller Systemkameras haben Pixelraster von 3,3 µm bei Micro-FourThirds, über 3,8 µm bei hochauflösenden APS-C-(26 Megapixel (MP)), Kleinbild-(61 MP) und Mittelformatkameras (102 MP) und bis zu 8,4 µm bei Kleinbildkameras mit 12 MP. Selbst wenn die Pixel etwas kleiner als die Beugungsscheibchen sind, können sie ihre Auflösungsleistung trotz der Beugungsunschärfe noch zur Geltung bringen. Blendet man aber auf f/16 ab, wachsen die Beugungsscheibchen auf rund 22 µm, überdecken also selbst bei den am geringsten auflösenden Sensoren mehrere Sensorpixel. Die Unschärfe wird dann im Bild deutlich sichtbar und die effektive Bildauflösung bleibt hinter der Sensorauflösung zurück – die aber dank des Oversampling immer noch die Bildqualität insgesamt verbessert. Wie weit man abblenden darf ohne Auflösungsleistung zu verschenken lässt sich nach einer einfachen Faustformel berechnen: Die Größe der Sensorpixel in µm wird dazu mit 3 multipliziert, um die maximale Blendenzahl zu erhalten. Eine Vollformatkamera mit 24 Megapixeln und einer Pixelgröße von 5,9 µm erlaubt also noch problemlos f/16, während eine MFT-Kamera mit 3,3-µm-Pixeln nur bis f/10 abgeblendet werden sollte.

Kleine Sensoren, große Unschärfe?
Je kleiner der Sensor, desto kleiner sind meist dessen Pixel, da man auch auf der kleineren Fläche eine hohe Auflösung anstrebt. Man könnte daher denken, dass die Beugungsunschärfe bei Kameras mit kleinen Sensoren mehr Probleme schafft.

In der Praxis gilt das jedoch nicht. Mit kleineren Sensoren gehen auch kürzere Brennweiten der Objektive einher – und bei gleicher Blende ist die Schärfentiefe größer als bei einer Kamera mit großem Sensor. Man muss also weniger stark abblenden, um die gewünschte Ausdehnung der Schärfenzone zu bekommen, und reduziert so auch die Beugung. Bei gleichen Anforderungen an die Schärfentiefe ist die Beugungsunschärfe daher unabhängig von der Sensorgröße dieselbe.

Lösungswege
Auch wenn es keinen technologischen Kniff gibt, die Beugungsunschärfe zu eliminieren, kann man ihre Entstehung umgehen oder zumindest ihre Auswirkung verringern. Bei Makroaufnahmen hat es sich bewährt, eine Aufnahme mit kleiner Blende durch eine Fokusreihe mit großer Blende zu ersetzen. Zwischen den einzelnen Aufnahmen wird der Fokus verschoben – je nach Entfernung um wenige Millimeter oder auch nur um Bruchteile eines Millimeters –, bis alle relevanten Details scharf abgebildet sind und die Aufnahmen schließlich in einer Software wie Photoshop miteinander zu einem von vorne bis hinten scharfen Bild verrechnet werden. Ein solches Fokus-Stacking erfordert entweder eine Kamera, die Fokusreihen von sich aus unterstützt, oder einen Einstellschlitten wie zum Beispiel den Castel-Micro von Novoflex. Die Beugungsunschärfe eignet sich auch für eine digitale Bildverbesserung mit einer Dekonvolution. Dieses mathematische Verfahren ist immer dann gut anwendbar, wenn die genaue Art der Unschärfe präzise bekannt ist. Immer mehr Hersteller sind daher dazu übergegangen, die Gestalt der für ihre Systemobjektive typischen Beugungsscheibchen in der Firmware zu speichern, sodass die so entstandene Unschärfe nachträglich herausgerechnet werden kann. Damit wird sie zwar nicht vollständig zum Verschwinden gebracht, ihre Auswirkungen werden aber deutlich reduziert. Leider beschränkt sich dies auf die in der Kamera gespeicherten JPEG-Dateien; RAW-Konverter bieten noch keine Dekonvolution an und die dazu nötigen Korrekturdaten werden auch nicht in den RAW-Dateien gespeichert – was technisch durchaus möglich wäre.

Abblenden oder nicht?
Abblenden bringt zunächst mehr Schärfe, weil eine kleinere Blende einige Abbildungsfehler reduziert und zudem die Schärfentiefe vergrößert. Allzu starkes Abblenden ruft allerdings die Auswirkungen der Beugungsunschärfe hervor, wodurch die Bildschärfe wieder abfällt. Auch die Vergrößerung der Schärfentiefe wird am Ende zunichte gemacht, weil die Anforderungen an eine ausreichende Schärfe dann bei keiner Entfernung mehr erfüllt sind. Wenn die Fotos aber ohnehin nur in geringer Auflösung veröffentlicht werden sollen (in den sozialen Netzen beispielsweise) darf man die Blende ausnahmsweise auch stärker schließen.