Komödiant mit Kamera: Hugo Thimig

Fotografische Passion eines Hofschauspielers

Als früher „Superstar“ des Burgtheaters gab Hugo Thimig alle komischen Rollen zwischen William Shakespeare und Henrik Ibsen – und arbeitete hart an seinem Ruf als bedeutender Sammler. Für die eigene Kamera schrieb er sich immer neue Charaktere selbst: Vor und hinter der Kamera wirkte er als Autor und Regisseur, als Darsteller und Zuschauer in unterschiedlichen Verkleidungen im selben Bild. Assistiert von Frau und Kindern, kreierte er Wunsch- und Albträume, die er im Freundeskreis herumreichte und gezielt in der Presse lancierte.

Fotografieren galt als Hugo Thimigs ganz große Passion. In der sommerlichen Theaterpause fand der Schauspieler Muße, sich seinem Steckenpferd zu widmen. Viele seiner ab der Mitte der 1890er-Jahre gefertigten Bilder entstanden im Dorf Wildalpen in der Steiermark. Dort verbrachten er und seine Familie bevorzugt ihre Ferien im 1892 gekauften Haus. Dabei entstanden typische Knipseraufnahmen, die ihn, seine Frau Franziska und ihre vier Kinder beim Spielen und geselligen Beisammensein zeigen und so eine visuelle Familienbiografie fortschreiben. Vor allem aber beschäftigten ihn die „Sommerspielereien“, wie er es einmal nannte. Darunter fallen zwei markante Werkgruppen: eine spezifische Form der Selbstdarstellung und theatrale Kinderaufnahmen. Thimig blieb dabei der Komiker, wie man ihn aus dem Burgtheater kannte und liebte. Er schuf eine ganze Reihe von Selbstporträts, die um kleine Fährnisse des Alltags, seine gesellschaftliche Stellung und berufliche Situation, seine Vergnügungen und Genüsse kreisen.

Eine eigene Spielart dieser Selbstporträts sind die als Mehrfachbelichtung ausgeführten Bilder. Sie kursieren unter Begriffen wie „Doppelbilder, „Verwandlungsstudien“ oder „Juxfotos. Hierbei ließ sich Thimig, oft unter Assistenz seiner Ehefrau, bis zu fünfmal auf einer Negativplatte ablichten. Die Themen reichen von lustig-absurden Szenen, denen er launige Titel gab, bis zu Ausdrucks-Panoramen wie der Fotografie Auf der IV. Galerie bei „Iphigenie, wo er vier Theaterbesucher, darunter auch eine Frau, darstellt, die ganz unterschiedlich auf das Dargebotene reagieren.

Die zweite Gruppe bilden Genreszenen mit seinen Kindern. Hier war er sowohl Regisseur als auch Drehbuchautor und Ausstatter. Er kostümierte seine Söhne als Soldaten, die rauchen, trinken und mit der Tochter flirten, oder Sohn Hans mimt in einer Doppelrolle das greise Ehepaar Philemon und Baucis. Alltagsminiaturen finden sich neben literarisch-mythologischen Stoffen. Thimig steht mit seinen kleinen Szenen, eine Art von Tableaux vivants, in einer langen Tradition der Fotografiegeschichte, die von den Anfängen bis in die Gegenwart reicht, und heute nach wie vor Künstler*innen intensiv beschäftigt.

Betrachten wir Thimigs Fotopraxis, wird offensichtlich, dass sein privates Verhältnis und Verhalten zur Fotografie mitnichten abgetrennt vom beruflichen Gebrauch des Mediums waren, ganz im Gegenteil: Die beiden Sphären waren eng miteinander verbunden. Sohn Hans bestätigt diese Sichtweise, wenn er meint: „Übrigens zeugen diese Aufnahmen weniger von seiner Fotografierkunst als von der des Komödianten, der sich geradezu virtuos in die verschiedensten Charaktere verwandeln konnte.“

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen Schauspieler, die Fotografie zur Selbstvermarktung zu nutzen. In den Theatern selbst konnte wegen der mangelhaften Beleuchtung und der nicht ausgereiften Fototechnik noch nicht fotografiert werden. Deshalb begaben sich die Bühnenstars in die Fotoateliers, um Zivil- und vor allem Rollenporträts aufzunehmen, die von ihren Fans gekauft und gesammelt wurden. Insbesondere in Wien, einer ausgesprochenen Theaterstadt, entstand ein mächtiger Bildermarkt. Im Studio wurden einzelne wesentliche Posen des Stücks im Kostüm vor der Kamera „nachgespielt“. Diese neue „zweite“ Bühne gewann ungemein an Bedeutung und konnte nicht vernachlässigt werden, um sein Starimage zu kultivieren.

Hugo Thimig begab sich für Rollenporträts regelmäßig in die angesehensten Ateliers der Stadt, und zwar auch noch in den 1920er-Jahren, als es längst üblich geworden war, gestellte Szenen – und gelegentlich auch Liveaufnahmen während der Aufführung – in eigenen Fotositzungen direkt auf der Bühne in originaler Ausstattung aufzunehmen. Rollenporträts dienten der werbenden Selbstdarstellung, aber die Schauspieler dokumentierten damit auch Kostüm, Maske und last not least ihr Ausdrucksvermögen, sodass die Fotografien zum Reflexionsmedium über ihr berufliches Tun avancierten. Thimig hat Letzteres über die Rollenbilder hinaus kultiviert, indem er mit Otto Schmidt, einem seiner Leibfotografen, eigenständige Ausdrucksstudien aufnahm. In 26 Aufnahmen, betitelt mit „Physiognomische Studien“, mimte er Gefühle, die von „neugierig“ und „erstaunt“ über „stillvergnügt“ und „listig“ bis zu „sinnend“, „bestürzt“ und „gequält“ reichen.

Hugo Thimig war ein großer Star seiner Zeit. Ein solcher definiert sich bekanntlich dadurch, dass nicht allein Interesse an der künstlerischen Leistung besteht, sondern dass es eine unbändige Neugierde gibt, ein Stück des Privatlebens öffentlich zu machen. Die Fotografie spielte und spielt bis heute in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Waren es in den Anfängen fotografische Abzüge, die verkauft wurden, edierte man diese ab den 1890er-Jahren im Format der Postkarte neu. Ab etwa 1900 und verstärkt ab den 1920er-Jahren publizierte man Fotografien hauptsächlich in gedruckter Form in Zeitungen und Zeitschriften. Thimig gab sich hier als geschickter Partner der Medien zu erkennen. Es zirkulierten nicht allein seine zahlreichen Rollen- und Zivilporträts, sondern er gewährte der Presse die Gelegenheit auf das, was man heute Homestory nennt. Zudem überließ er der Presse auch seine eigenen Fotografien. Diese unterstrichen zum einen sein Image als Komödiant, zum anderen belegten Aufnahmen von den Kindern, nachdem diese selbst die Bühne als Wirkungsstätte ihres beruflichen Tuns erwählt hatten, in den Augen der Kritiker deren schauspielerisches Talent. Im Wesentlichen fußte Hugo Thimigs Starimage auf drei 5

Komponenten, die alle gleichermaßen im Visuellen ihren Ausdruck fanden: erstens die komödiantische Existenz, zweitens das musisch-bildungsbürgerliche Dasein und drittens die Rolle als Familienpatriarch und Begründer einer Schauspielerdynastie. Thimig wurde bereits mit 20 Jahren 1874 an das Burgtheater verpflichtet, dem er sehr lange die Treue hielt. 1897 wurde er zudem zum Regisseur ernannt und von 1912 bis 1917 leitete er das Haus. Danach wurde er in den Ruhestand versetzt, gab aber noch bis 1923 ein Gastspiel ebenda. Danach spielte er unter der Führung von Max Reinhardt noch bis 1933 im Theater in der Josefstadt, oft zusammen mit seinen Kindern Hans, Hermann und Helene (die mit Reinhardt liiert war), die alle selbst exzeptionelle Bühnenlaufbahnen hinlegten. Thimig verstand es souverän, die Fotografie für seine Karriere zu nutzen, und wurde so einer der großen „Lieblinge“ des Publikums, wie man seinerzeit die „Stars“ in Wien gerne nannte. 

Thimig beschäftigte sich intensiv mit dem Ausdrucksvermögen von Schauspieler. Dafür lieferte seine Theatraliasammlung, seinerzeit die größte private theaterbezogen Sammlung in der Monarchie, hinreichend Anschauungsmaterial. Neben Büchern, Akten und Autografen leisteten vor allem Porträts prominenter Vorgänger, gemacht in den verschiedensten Techniken, hervorragende Dienste. Thimig sammelte zeit seines Lebens und als er sich 1922 gezwungen sah, seine leidenschaftlich zusammengetragenen Schätze an die Nationalbibliothek zu veräußern, sprach er von seinem „Lebenswerk“, das nun dahinginge. (Im Übrigen bildete diese rund 120.000 umfassende Sammlung den Grundstock der Sammlung des heutigen Wiener Theatermuseums.)

Die Publikation: Michael Ponstingl: Theater für die Kamera. Fotografische Passionen des Hofschauspielers Hugo Thimig, mit einer biografischen Skizze von Elisabeth Großegger (= Beiträge zur Geschichte der Fotografie in Österreich, Band 23), Salzburg: Fotohof edition, 2024, 216 Seiten mit 165 Abbildungen in Farbe und Schwarzweiß; Preis: 19,90 Euro Michael Ponstingl: Theater für die Kamera. Fotografische Passionen des Hofschauspielers Hugo Thimig, mit einer biografischen Skizze von Elisabeth Großegger (= Beiträge zur Geschichte der Fotografie in Österreich, Band 23), Salzburg: Fotohof edition, 2024, 216 Seiten mit 165 Abbildungen in Farbe und Schwarzweiß; Preis: 19,90 Euro

Die Ausstellung bis zum 31. Mai entstand in Kooperation mit dem Theatermuseum, Wien. Ein gewichtiger Teil der rund 120 Ausstellungsobjekte stammt von dieser Institution und dem Photoinstitut Bonartes. Als private Leihgeber firmieren Helfried Seemann, Mila Palm und Michael Ponstingl. Kurator ist Michael Ponstingl.

www.bonartes.org