Erbe von Star-Fotograf Paolo Costa gesichert

DAS SÜSSE LEBEN

Paolo Costa, einer der großen Chronisten der Dolce-Vita-Ära, ist bis heute weithin unbekannt. Das soll nicht so bleiben, findet seine Tochter – und fördert postum die Perlen seines Archivs zutage. Eine Entdeckung.

Der Blick fällt durch die halb geöffnete Tür auf Claudia Cardinale – die „schönste Frau der Welt“, wie die internationale Presse damals immer wieder schrieb. Die vielleicht bedeutendste italienische Schauspielerin der sechziger Jahre liegt im Bett und blickt selbstversunken ins Nichts. Ein Setting, das schnell voyeuristisch hätte werden können, doch Voyeurismus ist das Letzte, was man mit dieser Aufnahme verbindet. Dem Bildautor Paolo Costa ist es vielmehr gelungen, die Diva so nah, unverstellt und intim zu zeigen, wie man sie wohl selten gesehen hat. Die undatierte Aufnahme ist um 1960 entstanden und sie ist typisch für Costas Kernwerk.

Der 1917 geborene Italiener hat die Großen des italienischen und französischen Kinos der 50er-, 60er- und frühen 70er-Jahre festgehalten, am Filmset von Cinecittà, aber ebenso oft jenseits der italienischen Traumfabrik. Seine Bilder sind in allen wichtigen Zeitschriften jener Zeit erschienen (darunter rund 550 Titelbilder weltweit), und viele davon sind von herausragender fotografischer Qualität und emotionaler Kraft: Bildgestaltung, Setting, Framing, hier stimmt einfach alles. Auch wenn die meisten Porträts inszeniert sein dürften, wirken sie authentisch und posenfrei – fotografiert, wie aus dem „Off“. Man spürt, wie nah Costa seinen Protagonisten gewesen sein muss; zuweilen scheinen sie zu vergessen haben, dass er anwesend ist mit seiner Kamera. Die Liste der Prominenten ist ebenso lang wie illuster: Anna Magnani , Uschi Obermaier, Sidney Poitier, Brigitte Bardot, Gina Lollobrigida, Richard Burton, Jean-Paul Belmondo, die Meisterregisseure des italienischen Kinos: Federico Fellini, Luchino Visconti oder Marco Ferreri – um nur einige zu nennen.

Vor allem aber und immer wieder: Sophia Loren. Die Schauspielerin im Cabrio neben Leinwandpartner Marcello Mastroianni (am Filmset zu De Sicas „Gestern, heute und morgen“). Vertieft in ein Englischlehrbuch. Ikonenhaft eingerahmt zwischen zwei mittelalterlichen Frauenporträts in ihrer Wohnung. „Er hat Sophia Loren zu einem Zeitpunkt kennengelernt, als sie noch wenig bekannt war, und er hat die ersten Aufnahmen von ihr gemacht, die international Beachtung fanden“, sagt Alexandra Pfründer, seine Tochter. Später habe sie ihn als ihren ,,Special“ während der Dreharbeiten zu ihren Filmen gebucht und sich von ihm auf verschiedenen Reisen begleiten lassen, auch während ihres ersten Besuchs in Deutschland, 1959. Es war der Beginn einer langjährigen Zusammenarbeit, bei der die Loren der visuellen Intuition des Fotografen offenbar voll vertraute. „Meine Mutter hat öfter erzählt, dass er Sophia gesagt hat, wenn ihm etwas an ihrem Stil nicht gefiel; zuweilen hat er sie wohl eigenhändig umgeschminkt“, erzählt Pfründer.

Von der Sozialreportage zum Glamour-Fotografen: Costas Lebensweg

Paolo Costa wurde in einem kleinen Ort an der norditalienischen Adriaküste geboren. Über seine Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. Während des Krieges sei er vor den deutschen und italienischen Faschisten geflohen, erzählt die Tochter, später habe er Politikwissenschaften und Philosophie in Bologna und Venedig studiert und während des Studiums wohl auch das Fotografieren erlernt. Anschließend arbeitete er zehn Jahre lang als Journalist, ehe er 1951 seine Laufbahn als Fotoreporter startete – unter anderem mit Reportagen über das harte, von Armut und Kriminalität gezeichnete Leben der Menschen im Süden seines Landes. 1953 ging Costa von Mailand nach Rom – die Welt des Films hatte ihn in seinen Bann gezogen. Als die Blütezeit des italienischen Films Anfang der 1970er-Jahre verblasste, erfand sich Costa neu. Er arbeitete als Werbefotograf für Unternehmen wie BMW, Esso, FIAT oder Olivetti, betätigte sich als Talentscout und organisierte Schönheitswettbewerbe in Rimini und Riccione – ein lukratives Geschäft. 1973 beschloss er, sein Businessmodell nach Deutschland zu exportieren. Er ging nach München, lernte dort seine spätere Frau Marion kennen, eine 29 Jahre jüngere Studentin der Kommunikationswissenschaften, fotografierte spätere Stars wie Daliah Lavi, Amanda Lear oder Elke Sommer. 1975 kam seine Tochter Alexandra zur Welt. „Ende der 1970er-Jahre ging es uns richtig gut“, sagt diese. „Ich erinnere mich an viele Reisen, luxuriöse Hotels, die schillernden Freunde meines Vaters, er war zweifellos ein Lebemann.“

Das Familienglück währte nicht lange. Bei Costa wurde Diabetes diagnostiziert – mit einem Mal war der Starfotograf ein alter, kranker Mann. Gegen Ende seines Lebens habe er damit begonnen, Fotos aus seinem Archiv zu entsorgen, erzählt seine Tochter. „Glücklicherweise hat ihn meine Mutter davon abgehalten, alle Bilder wegzuwerfen“. Der Nachlass ist immer noch gewaltig. Rund 5.000 Prints, hinzu kommen zahllose Negative und Dias, die Pfründer jetzt nach und nach sichten und teilweise digitalisieren will. Ihr Engagement zahlt sich aus, ebenso wie das von akg-images. So hat die Düsseldorfer Galerie noirblanche, die unter anderem Künstler wie F. C. Gundlach, Walter Scheels oder Peter Keetmann vertritt, letztes Jahr auch Paolo Costa in ihr Programm mit aufgenommen. Live zu sehen sind seine Bilder von Mitte April bis Ende Juli dieses Jahres auch in der Augsburger Galerie Süßkind.

Zu entdecken gibt es noch vieles: Etwa das Bild von Maria Schell, die mit dem für sie typischen verschmitztem Blick zum Himmel schaut, während sich Regisseur Luchino Visconti im Hintergrund eine Zigarette anzündet. Marlene Dietrich, die mit gasbefüllten Luftballons in der Hand eine Wohnung betritt. Ein Close-up von Federico Fellini, der etwas auf einem Block skizziert. Marcello Mastroianni, der von Fellini geherzt wird wie ein Schulbube. Costa, das wird deutlich, war so etwas wie ein Anti-Paparazzo. Er hat es verstanden, die Aura der Stars sichtbar zu machen, nonchalant, nah und eindrücklicher als es jedes „Enthüllungsbild“ der seinerzeit ebenfalls allgegenwärtigen Heckenschützen vermochte. Paolo Costa ist eine Entdeckung. Und bald dürfte er auch einen Wikipedia-Eintrag haben, das jedenfalls hat sich seine Tochter vorgenommen.

Links: Paolo Costa in den 1970ern am Set. Rechts: Alexandra Pfründer mit den Prints ihres Vaters

Das Archiv ein faszinierendes Erbe

Seit einigen Jahren wertet Pfründer das Archiv ihres Vaters aus und bringt es der Öffentlichkeit nahe, unter anderem auf dem Instagram-Account @archiviopaolocosta. Unterstützt wird sie von der auf historische Positionen spezialisierten Bildagentur akg-images. Ein Glücksfall, denn ohne die Zusammenarbeit wäre Costas Werk wohl für immer in Vergessenheit geraten. „Es war ein langer Prozess. Die Bilder meines Vaters waren bei uns zuhause ja allgegenwärtig. Aber ich bin ja nicht vom Fach, und meine Mutter wollte lange nichts davon hören“, sagt Pfründer, die eine Einrichtung der offenen Seniorenarbeit leitet. Als ihre Mutter starb, tauchte Pfründer erneut ins Archiv ab: „Ich dachte: Ich kann die Bilder nicht einfach verstauben lassen, die müssen an die Öffentlichkeit .“ Sie wandte sich an Ulrich Ramershoven, damals Leiter der Dokumentation bei der Bildagentur ullstein Bild. „Der Name Costa sagte mir nichts, und auch meine Recherche führten zu keinen Ergebnissen. Umso überraschter war ich beim Ortstermin von der hohen Qualität der Motive. Ich schlug ihr vor, das Archiv zu digitalisieren. Inzwischen haben wir mehr als 500 Bilder aufgearbeitet – Dias, Negative, aber auch viele Vintage-Abzüge“, so Ramershoven, heute Senior Key Account Manager bei akgimages. „Die Digitalisierung dient nicht allein Vermarktungsaspekten, sondern auch der Bestandssicherung dieses besonderen historischen Materials.“
instagram.com/archiviopaolocosta
akg-images.de / Archiv Paolo Costanoirblanche.de/ 

Foto: Paolo Costa, akg Images | Text: Peter Schuffelen