Neue Seidenstraße im Eis
Gregor Sailer (*1980 in Österreich), bekannt für seine komplexen Langzeitprojekte, hat in den letzten fünf Jahren intensiv mit der Arktis beschäftigt. Bei Temperaturen bis zu -55 °C hat er in Kanada, Norwegen, Grönland und Island, aber auch in Großbritannien analoge Fotografien gemacht. Ein Großteil der Aufnahmen entstand sogar in Sperrgebieten, zu denen er nach monatelangen teils jahrelangen Organisationsphasen und Genehmigungsverfahren letztendlich Zutritt erhielt. Zu sehen bis zum 2. April 2023 in der Berliner Alfred Ehrhardt Stiftung.
In seiner neuen Werkserie The Polar Silk Road befasst sich Sailer mit den klimatischen Veränderungen der arktischen Regionen und ihrer wirtschaftlichen Nutzung sowie den territorialen Ansprüchen der Anrainerstaaten.
Der Begriff der Polar Silk Road wurde erstmals von China verwendet und spielt mit dem Mythos der Seidenstraße. Das Freiwerden einer neuen Handelsroute über den Nordpol würde massive wirtschaftliche Vorteile für die jeweilige Großmacht mit sich bringen, die sich dort mit ihrer Agenda durchzusetzen vermag. Diese geopolitischen Spannungen bedingen den Ausbau von militärischen Strukturen und Forschungsstationen mit so unterschiedlichen Forschungsschwerpunkten wie Klimawandel, Aurora Borealis oder Weltraumklima.
Hauptmotor aller gegenwärtigen Entwicklungen um den Nordpol ist und bleibt aber die Erderwärmung: Das Eis zieht sich zurück, Grenzen, auch bisher durch die Natur für den Menschen vorgegebene Grenzen, verschieben sich, zusätzliche Schifffahrtsrouten wie die polare Seidenstraße entstehen und neue Rohstoffquellen werden zugänglich.
So politisch brisant das Thema auch sein mag, in erster Linie versteht sich Sailer als Fotograf und Künstler, für den neben der narrativen Ebene die Bildästhetik und Bildkomposition im Fokus stehen. Seine Bilder vermitteln in ihrer zurückgenommenen Farbigkeit und Reduktion die scheinbare Ruhe einer eisigen Welt, über der sich aber längst ein Sturm zusammengebraut hat.
Gregor Sailers Arbeitsweise ist verbunden mit akribischen Recherchen und einer mitunter willkürlichen Bürokratie. Seine Serie The Polar Silk Road entstand zwischen 2017 und 2021. Es ist bemerkenswert, dass ihm Dank seiner Überzeugungskraft und Ausdauer der Zugang zu Sperrzonen des Militärs und diversen Forschungsorganisationen gewährt wurde, um dort fotografieren zu dürfen. Das Ergebnis sind einmalige Bilder von Orten, die sonst im Verborgenen bleiben.
Nicht nur die umfangreichen Vorarbeiten, sondern auch die Unberechenbarkeit der Arktis machten dieses Projekt, bei dem der Fotograf mit der analogen Fachkamera unterwegs war, zu einer enormen Herausforderung. „Die hohe technische Qualität, der Charme des Korns sind reizvoll“, beschreibt Gregor Sailer seine Arbeit mit der Großbildkamera. „Die rein mechanische Technik ermöglicht mir längere Arbeitszeiten im Freien. Das Eigengewicht der Kamera lässt mich auch bei Sturm und längeren Belichtungszeiten scharfe Bilder erzeugen.“
Allerdings fordert das analoge Fotografieren eine enorme Konzentration – zumal die meisten Bilder unter einem gewissen Zeitdruck entstanden: „Ein Motiv, ein Bild. Passiert ein Fehler, ist das Motiv verloren.“
Die Ausstellung ist Teil des EMOP – European Month of Photography 2023. Das Buch The Polar Silk Road ist im Kehrer Verlag erschienen, 272 Seiten, mit 143 Abbildungen und Texten in Deutsch und Englisch, 58 Euro.