Fotopreis der Michael Horbach Stiftung

Marcos Zimmermann: Identitäre Auseinandersetzung

Der Argentinier Marcos Zimmermann erhält den mit 10.000 Euro dotierten Fotopreis 2021 der Michael Horbach Stiftung wegen seiner überwältigenden Landschaftsaufnahmen Patagoniens, die uns auffordern sollen zu retten, was noch zu retten ist. Insbesondere aber für die  beeindruckenden Portraits „Nosotros/Wir“ seiner argentinischen Landsleute. Die Fotografien sind in der Ausstellung „Argentinos – Los Hijos de la Tierra” vom 18. Juli bis zum 27. August in den Kunsträumen der Michael Horbach Stiftung zu sehen.

Marcos Zimmermann zu seiner Arbeit „Nosotros/Wir – Los Argentinos“: „Diese Fotografien sind Teil eines Foto-Essays, der zwischen 2015 und 2018 durchgeführt wurde. Meine Absicht bei der Aufnahme der tausenden von Fotos, die ich für dieses Projekt gemacht habe, war es, in Bildern nach einer Antwort auf die Frage zu suchen, wie wir Argentinier sind. Wo sonst könnte man die Lösung finden, wenn nicht in der Darlegung der Art, wie wir arbeiten, studieren, heilen, glauben, kämpfen, genießen, lieben oder träumen? Die Wahrheit, die eine Kamera, die die Realität aufzeichnet, in der Lage ist zu entlarven, kann dazu beitragen, viele Halbschatten zu zerstreuen. Und in dieser Zeit der „Post-Wahrheit“ scheint mir ein direkter Blick auf uns selbst eine treffende Reflexion zu sein.

Beim Versuch, ein Volk wie die Argentinier zu porträtieren, liegt die Schwierigkeit nicht so sehr in den vielen Räumen, Ideen und Seinsweisen, die Argentinien ausmachen, sondern in dem immer partiellen Blick desjenigen, der beobachtet. Die Arbeit eines jeden Fotograf besteht darin, für die fremde Realität durchlässig zu sein. Und wenn mein Blick hier vor allem an der Armut hängen bleibt, dann deshalb, weil mir das Leben, das von einer dringlichen Realität geschnitzt wurde, wahrer erscheint als andere, die in Bequemlichkeit gebettet sind.
Unter diesem Gesichtspunkt ist dies mein politischster fotografischer Essay. Wenn diese Fotografien einige der Eigenschaften widerspiegeln können, die uns als Volk definieren, bin ich zufrieden. Dies ist mein Beitrag zur Erforschung einer gemeinsamen Identität, die wir Argentinier besitzen und die jeden Tag darum kämpft, ihre eigene Form nicht zu verlieren.“ (Marcos Zimmermann, April 2021)

„Entdeckt habe ich den Fotografen in dem richtungsweisenden Bildband der Kölnerin Erika Billeter ‚Fotografie Lateinamerika‘ von 1981“, so Michael Horbach selbst. „Da Marcos Zimmermann wegen der Pandemie leider nicht aus Buenos Aires an der Preisverleihung am 18.Juli teilnehmen kann, hat er uns eine schriftliche Botschaft übermittelt“, so der Leiter der Stiftung: „In den 1810er Jahren brach ein junger Mann namens Johan Christian Zimmermann, geboren in Eckenhagen – einer Stadt in der Nähe von Köln – auf der Flucht vor den napoleonischen Kriegen in die neue Welt auf. Er ließ sich zunächst in den USA nieder und kam 1816 nach Argentinien, wo er in verschiedenen Geschäften tätig war. Johan Christian Zimmermann war u.a. der erste Importeur von Stacheldraht für die Felder Argentiniens, Vizekonsul der USA und Konsul der Hansestädte Hamburg und Bremen. Er hinterließ eine große Familie in meinem Land und kehrte später in die USA zurück, wo er starb. Wie im Leben alles im Kreis läuft, bin ich heute an der Reihe, als Nachkomme dieses Pioniers Zimmermann, meine Fotografien aus Argentinien in seine Heimat Deutschland zu bringen, diese Ausstellung zu machen und den Jahrespreis der Michael Horbach Stiftung zu erhalten, eine Ehre, die ich nicht erwartet habe und die sicher Johan C. Zimmermann glücklich machen wird, der uns sicher von einem göttlichen oder zumindest magischen Ort aus zusieht. Die Pandemie, die die Welt heimsucht, hat es mir unmöglich gemacht, physisch in Köln anwesend zu sein, um die immense Ehre, die diese Auszeichnung für mich bedeutet, persönlich entgegenzunehmen. Ich möchte mich dafür entschuldigen und habe Michael gebeten, diese Worte senden zu dürfen, damit sie als Zeugnis meiner Dankbarkeit und Zuneigung zu ihm an die Anwesenden vorgetragen werden können, insbesondere an die Statthalterin der Stadt Köln, in der heute diese Ausstellung meiner Arbeiten stattfindet. Besonders hervorheben möchte ich die enorme Großzügigkeit, mit der Michael Horbach vor Jahren an meine Arbeit herangegangen ist, und die ständige Sorge, die er durch seine Stiftung für die Bedürfnisse derer von uns zeigt, die in peripheren Ländern Kunst machen und Kultur schaffen. Für diejenigen von uns, die ihr Leben dem künstlerischen Schaffen an Orten wie Argentinien widmen – einem Land mit einer immensen kulturellen Tradition in vielen Kunstsparten trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, unter denen mein Land seit so vielen Jahren leidet – sind dieser Preis und diese Ausstellung ein enormer Ansporn. Es ist nicht üblich, in der heutigen Welt Menschen wie Michael zu finden, der sein Leben der Aufgabe widmet, Künstlern Raum zu geben, um unsere Werke zu zeigen und gleichzeitig finanzielle Unterstützung für unsere Arbeit zu bieten. Ich sage das auch im Namen von Daniel Muchiut, der ebenfalls hier ausstellt. Ich möchte mit zwei Sätzen schließen: Der erste stammt von dem wichtigsten argentinischen Schriftsteller Jorge Luis Borges und könnte auf die Praxis der Fotografie angewandt werden und fasst meine Leidenschaft zusammen, die Welt mit ihr auszudrücken. Borges schrieb: ‚Dass ein Individuum in einem anderen Individuum Erinnerungen wecken will, die nur einem Dritten gehörten, ist ein offensichtliches Paradoxon. Dieses Paradoxon mit Nonchalance auszuführen, ist der unschuldige Wille der gesamten Biographie.“ Das zweite ist ein Zitat von einem der größten Dichter dieses Landes, Goethe, das meiner Meinung nach Michaels Leidenschaft, anderen zu helfen, auf den Punkt bringt. Goethe sagte: ‚Die großen Leidenschaften sind unheilbare Krankheiten. Und was sie heilen könnte, würde sie wirklich gefährlich machen.‘“ (Marcos Zimmermann, April 2021)

Weitere Ausstellungen

Ira Mullakand & Nikola Tacevski, „a kind of beauty“ / Fotograf*innen der Native Agency / Arbeiten von Studierendn der Neuen Schule für Fotografiem „changing planet“.

www.michael-horbach-stiftung.de