Ernst A. Heiniger im Fotostift Schweiz

Zwischen Perfektion und Sinnlichkeit

Ernst A. Heiniger (1909–1993) gehörte in den 1930er-Jahren zur Avantgarde der Neuen Fotografie in der Schweiz. Ihm widmet die Fotostiftung Schweiz vom 5. Juni bis zum 10. Oktober eine Ausstellung: „Ernst A. Heiniger – Good Morning, World!“.

Das Fotografieren eignete sich der gelernte Retuscheur autodidaktisch an. Schnell entwickelte er ein Gespür für zeitgemässe und moderne Ästhetik und zählte bald zu den ersten Fotografen, die in den Schweizerischen Werkbund (SWB) aufgenommen wurden. Nach dieser Initialzündung wagte sich Heiniger stets an neue Herausforderungen und leistete immer wieder Pionierarbeit. 1936 schuf er mit Puszta-Pferde eines der ersten modernen Fotobücher der Schweiz. Er arbeitete mit bekannten Grafikern wie Heiri Steiner, Herbert Matter und Josef Müller-Brockmann zusammen und schuf innovative Entwürfe durch die damals neuartige Verbindung von Fotografie und Grafik. In den 1950er- Jahren bereiste Heiniger als Dokumentarfilmer für Walt Disney die Welt – zwei seiner Kurzfilme wurden mit einem Oscar ausgezeichnet.

Später drehte er für die Expo 64 in Lausanne den ersten 360-Grad-Film der Schweiz. Auch wenn Ernst A. Heinigers Bildwelten zu seiner Zeit von einem breiten Publikum wahrgenommen wurden, ist sein Name im Kanon der Schweizer Fotogeschichte wenig präsent. 1986 verliess er die Schweiz mit dem Vorsatz, nie mehr zurückzukehren und lebte bis zu seinem Tod 1993 in Los Angeles. Die Fotostiftung Schweiz hat sich seither darum bemüht, seinen fotografischen Nachlass in die Schweiz zurückzuholen – was 2014 endlich gelang. Die Aufarbeitung und Erforschung seines Archivs bilden die Grundlage für die erste umfassende Retrospektive dieses kreativen visuellen Gestalters. Die Ausstellung „Ernst A. Heiniger – Good Morning, World!“ zeigt Sach- und Naturaufnahmen, Fotobücher, Plakate, Filme, Making-of-Bilder sowie Dokumente, die sein Werk in der Zeitgeschichte verorten. Auch sein 360-Grad-Film Rund um Rad und Schiene – die Attraktion der SBB an der Expo 64 in Lausanne – wird als Rundumprojektion reinszeniert. Ernst A. Heinigers vielfältiges fotografisches und filmisches Schaffen war technisch immer auf dem neuesten Stand und bewegt sich zwischen kühler Perfektion und sinnlicher Naturverbundenheit.

1929 machte sich Ernst A. Heiniger im Alter von zwanzig Jahren als gelernter Positivretuscheur selbständig. Im gleichen Jahr fand an der Kunstgewerbeschule in Zürich die Ausstellung Film und Foto (FiFo) des deutschen Werkbunds statt. Der Ausstellungtitel war programmatisch für Heinigers weiteren Werdegang, denn die beiden kamerabasierten Medien prägten sein ganzes Schaffen. Die internationale Wanderausstellung galt damals als Manifest für eine moderne Bildästhetik. Unter den Schlagworten „Neues Sehen“ und „Neue Sachlichkeit“ wurden jene avantgardistischen Tendenzen gefasst, die genuin fotografische Gestaltungmittel betonten. Zu den Merkmalen der neuen Ästhetik gehörten Bildschärfe, Detailgenauigkeit, ungewöhnliche Perspektiven wie Auf- und Untersichten, (abstrahierende) Nahaufnahmen oder Mehrfachbelichtungen.

Auch das präzise Erfassen von Strukturen und Formen zählte zu den typischen Qualitäten dieser „Neuen Fotografie“, wie sie in der Schweiz genannt wurde. Bereits nach kurzer Zeit als selbständiger Retuscheur beschloss Ernst A. Heiniger, sich das Fotografieren selbst anzueignen. Seinen Kunden machte er ein Angebot: Zum selben Preis erhielten sie anstelle einer retuschierten Fotografie eine neue, bessere Aufnahme. Inspiriert von Ausstellungsbesuchen und Publikationen wie Werner Gräffs „Es kommt der neue Fotograf!“ (1929) adaptierte er die Ästhetik der internationalen Avantgarde und zählte in der Schweiz zu den Wegbereitern der Neuen Fotografie.

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