ANFÄNGERTAUGLICHE UND ANDERE STILE
Fotografie ist vielfältig – das bedeutet aber auch, dass manche Stile viel schwerer zu erlernen sind als andere.
Viele Fotografen, ob passionierter Hobbyist oder Profi, dürften bei folgenden Worten nicken:
- Der digitale Siegeszug hat Fotografie einer viel breiteren Masse zugänglich gemacht.
- Eben diese Masse sorgt dafür, dass vieles veröffentlicht wird, das mangels Qualität besser auf der Festplatte geblieben wäre.
An der Ausrüstung mangelt es praktisch nie, selten am Können. Viel mehr versuchen sich viele Einsteiger an Stilen, die schlicht nur etwas für Routiniers sind, die nicht zwischen zwei Fotos noch die Bedienungsanleitung konsultieren müssen. Um Fettnäpfchen zu vermeiden, listet der folgende Artikel Einsteigerfelder und prüft sie auf ihre tatsächliche Anfängertauglichkeit, sowohl was Routine als auch Ausrüstung anbelangt.
1. Landschaftsfotografie
Sonnenuntergang am Meer, Wolken über einem Gebirgskamm, ein optisch endlos erscheinendes Weizenfeld – Landschaftsfotos findet man auf Bilderportalen extrem viele. Und das hat einen Grund, denn diese Art der Fotografie ist die vielleicht einsteigerfreundlichste überhaupt:
- Es sind keine hohen Auflösungen notwendig
- Lichtstärke tritt in den Hintergrund
- Es bewegt sich nichts
- Kein Zeitdruck
- Keine Zuschauer
Man benötigt einfach nur “irgendeine” Kamera samt Objektiv. Ein Stativ und Fernauslöser helfen zwar, sind aber optional. Und dann kann man sich in aller Seelenruhe darauf konzentrieren, einen guten Bildausschnitt zu finden, die Drittelregel der Landschaftsfotografie anzuwenden und kann dabei mit Blenden und Einstellungen herumprobieren. Und das Schöne ist, mit vergleichsweise wenig Skills kann auch ein Anfänger sehr gute Erfolge einfahren.
Anfängertauglichkeit Equipment: Sehr hoch
Anfängertauglichkeit Durchführung: Sehr hoch
2. Tierfotografie
Was machen viele Einsteiger, wenn sie die Kamera ausgepackt haben? Sie halten sie Bello oder Miez unter die Nase – und entdecken so ziemlich schnell, dass sie sich dabei auf vergleichsweise glattes Eis begeben haben. Tierfotografie ist, obwohl von vielen Anfängern praktiziert, eigentlich nicht anfängertauglich. Alleine schon deshalb, weil ein Tier selten auf Kommandos reagiert und sich ohne Vorwarnung von “Supersüße Pose” zu “Unscharf, weil Kopf geschüttelt” bewegt.
Außerdem ist einer der wichtigsten Skills für gute Tierfotos, dass man die Einstellungen seiner Kamera absolut beherrscht. Wenn der Hund für eine Sekunde stillhält, darf man nicht noch falsch herum am Brennweitenring drehen, wenn die Katze verzaubert auf ihr Spielzeug guckt, muss die Schärfentiefe schon perfekt sitzen, damit nicht die Katze scharf, aber das Toy im Bokeh liegt. In Stichpunkten bedeutet das:
- Hoher Zeitdruck
- Tier bewegt sich unkontrollierbar
- Aufwand für einen guten Bildhintergrund
- Hohe Anforderung ans fotografische Multitasking
Zusammengefasst ist Tierfotografie somit etwas, was als Mindestbedingung erfordert, dass man das Equipment blind beherrscht und durch fotografische Routine Schnelligkeit entwickelt hat – beides selten etwas, womit Anfänger aufwarten können.
Anfängertauglichkeit Equipment: Mittel bis hoch
Anfängertauglichkeit Durchführung: Gering
3. Street-Fotografie
Raus auf die Straße, Menschen, Autos, Leben fotografieren. Street- oder Straßenfotografie ist ebenfalls bei Anfängern, besonders im urbanen Raum, beliebt, aber hat auch ihre Tücken:
- Zwang zu hoher Schnelligkeit (Motive bewegen sich)
- Dadurch hohe Routine im Equipment erforderlich
- Auflösung zweitrangig, aber teilweise große Brennweiten erforderlich
- Sehr viele Zuschauer
- Motive werden oftmals nicht freiwillig abgelichtet
Vor allem letzteres hat in Deutschland seit geraumer Zeit immer wieder für Streits bezüglich der Gewichtung Persönlichkeitsrecht versus künstlerische Freiheit gesorgt und erst 2015 einen vorläufigen Höhepunkt erreicht, als eine fotografische Klage in zweiter Instanz zurückgewiesen wurde, weil die Richter befanden, dass das Persönlichkeitsrecht schwerer wiege als die Kunstfreiheit. Das bedeutet, wer sich derzeit auf die Straße begibt und dort wahllos Leute ablichtet, bewegt sich in einem rechtlich schwierigen Gebiet.
Kommt noch hinzu, dass man schnell sein muss, denn die Motive ändern sich im Sekundentakt, je mehr Leben auf der Straße herrscht. Das zwingt einen zumindest dazu, sein Equipment blind zu beherrschen und die grundlegendsten Street-Fotoregeln ohne nachzudenken anwenden zu können. Ein Vorteil ist, dass dieser Stil einen geradezu zwingt, sich bei der Ausrüstung auf das Wesentlichste zu beschränken: Body, Objektiv und nicht mehr.
Anfängertauglichkeit Equipment: Sehr hoch
Anfängertauglichkeit Durchführung: Gering bis mittel
4. Portrait-Fotografie
Nach zwei Stilen, die vergleichsweise hohe Anforderungen an die Fingerfertigkeit im Gebrauch des Equipments stellen, nun einer, der wieder anfängertauglich ist – mit gewissen Einschränkungen. Portraits haben einen gewaltigen Vorteil: Der Fotograf kann sowohl das Model als auch die Location bestimmen. Das schult nicht nur das Denken jenseits von Blende und Zeit, sondern macht es auch einfach, sich jemanden vor die Linse zu holen, der sich nicht wehren kann (“Du, Schatz, hast Du mal fünf Minuten?”). Man hat alle Zeit der Welt, sich hinter die Kamera zu begeben und sämtliche Facetten der Portraitfotografie auszuschöpfen und seine Skills zu schärfen:
- Motiv bewegt sich auf Kommando
- Hintergrund muss gut gewählt werden
- Teilweise zusätzliche Beleuchtung erforderlich
- Wenig bis gar kein Zeitdruck
- Keine Zuschauer
- Model will immer wieder Zwischenergebnisse sehen
Klar, wer jemand vor der Kamera hat, der in diesem Feld ebenso Anfänger ist, wie man selbst, muss damit leben, dass das Model immer wieder mit einem “zeig mal” zwischengrätscht. Aber das ist auch nicht schlimm, denn zwei Paar Augen sind kritischer als eines und man selbst sieht seine Fotos mit ein paar Minuten zeitlichem Abstand nochmal genauer. Ein zweischneidiges Schwert ist hingegen die Beleuchtung. Wer seine Portraits draußen bei Sonnenschein schießt, hat damit weniger zu tun. Wer aber hingegen im Innenraum shootet, braucht einfach entsprechende Beleuchtungsmethoden – und wenn es nur die gute alte Kombination “Neonröhre hinter Bettlaken” oder ähnliche Do-it-yourself-Lösungen sind.
Anfängertauglichkeit Equipment: Mittel bis hoch
Anfängertauglichkeit Durchführung: Hoch bis sehr hoch
5. Lost-Places-Fotografie
Eine halbverfallene Villa im Wald, ein unheimlicher Bunker aus dem Kalten Krieg – Lost-Places-Fotografie lebt davon, den Charme des Morbiden einzufangen. Und ganz nüchtern betrachtet bieten sich hier auch viele Vorteile für den Anfänger – allerdings auch einige handfeste Probleme, die bei Nichtbeachtung das Ganze sogar lebensgefährlich machen:
- Wenig Zeitdruck
- Motiv bewegt sich nicht
- Hohe Anforderungen an ISO und Lichtstärke
- Keine Zuschauer
- Großes Augenmerk auf Eigensicherung erforderlich
- Zusätzliches “Expeditions-“Equipment vonnöten
Die Schwierigkeits-Schwerpunkte der Lost Places liegen eher darin, dass man diese Motive erst einmal aufwändig suchen muss – sonst wären sie ja nicht vergessen. Und dann benötigt es absolute Sicherheit im Umgang mit der Ausrüstung. Nicht weil auf Anhieb alles sitzen müsste, sondern weil es, ob des zerfallenen Zustandes vieler Lost Places, einfach notwendig ist, sich um der Sicherheit willen auf seine Umgebung zu konzentrieren. Auf Seiten der Ausrüstung sind Linsen hoher Lichtstärke das A&O. Ein Vorteil ist, dass man es leicht angehen lassen kann und sogar muss, um sich in Bunker und Co. nicht zusätzlich zu belasten.
Anfängertauglichkeit Equipment: Mittel bis hoch
Anfängertauglichkeit Durchführung: Mittel
6. Event-Fotografie
Irgendwann kommt der Tag, an dem ein Anfänger, der sich gerade mit einer etwas höherwertigen Kamera bestückt hat (und das ist in Laienaugen alles, was keine 99-Euro-Kompaktknippse aus dem Elektrodiscounter ist) von einem Verwandten oder Bekannten angesprochen wird: “Du, ich habe demnächst Jubiläum/Geburtstag/Kindstaufe/Hochzeit; Du hast doch jetzt so ‘ne tolle Kamera, kannst Du da nicht ein paar Bilder machen?”. Klar, der Kumpel mit der Kamera ist ja auch sehr viel billiger als beispielsweise ein professioneller Hochzeitsfotograf. Und weil man den Fragenden nicht vor den Kopf stoßen will (und natürlich auch wegen guter Fotos bewundert werden möchte), sagt man zu und steht dann am Stichtag vor einem ganzen Berg von Problemen:
- Location und Hintergrund sind unabänderlich und unbeeinflussbar
- Eine große Masse von Motiven muss beherrscht werden (etwa beim obligatorischen Gruppenfoto)
- Blindes Beherrschen der Technik ist Pflicht
- Hoher Zeitdruck
- Jede Menge Zuschauer
- Zusatzwissen der Beleuchtung fast zwingend erforderlich
Wir halten also fest: Eventfotografie ist eine rasend schnelle Abfolge von One-in-a-Million-Motiven, die zudem auch noch alle mit absoluter Präzision sitzen müssen. Wer das Anstecken des Eheringes, das Taufen des Babys, das Ausblasen der Geburtstagskerzen mangels sattelfester Skills vergeigt und dabei schlechte Fotos produziert, kann nicht nochmal alles auf Anfang setzen. Und wenn die Fotos schlecht werden, hat man dann auch noch mit:
- Genervten “Auftraggebern”
- Schlechtem Ansehen durch die Gäste
- Sinkendem Ego
zu kämpfen. So manche, eigentlich vielversprechende Hobbyfotografenlaufbahn wurde auf diese Weise schon zerstört, bevor sie angefangen hat. Es spricht nichts dagegen, bei solchen Events mit der Kamera ein wenig auszuhelfen – aber nur als zweite Person neben einem echten Routinier, der die wichtigsten Fotos mit Sicherheit gut einfängt. Das lohnt sich alleine schon deshalb, weil sich dabei die Chance bietet, kostenlos Tipps und Tricks abzugreifen und sich so manches abzuschauen.
Anfängertauglichkeit Equipment: Gering
Anfängertauglichkeit Durchführung: Sehr gering
Fazit
Nimm dir Zeit und suche dir ein Motiv, das sich entweder gar nicht bewegt oder nur auf deine Anweisung. Subtrahiere nun Zuschauer und Ablenkungen und addiere eine Location, die keine großen Ansprüche an die Ausrüstung stellt. Heraus kommt aus dieser Formel ein Foto-Stil, der wirklich dafür taugt, auch von absoluten Anfängern durchgeführt zu werden. Jeder Fotograf muss zumindest die Grundlagen von Technik und Bildaufbau beherrschen – und das geht am Besten im Rahmen von Landschafts-, Architektur-, Stillleben- und Portraitfotografie mit einer nahestehenden Person. An diesen Motiven sollte man sein Können erst einmal schärfen, bevor man zu den schwierigeren Feldern übergeht. Das ist zwar anstrengend, aber liefert von Anfang an Erfolgserlebnisse, die nicht nur das Lernen erleichtern, sondern auch Lust auf mehr machen.