Aïda Muluneh fotografiert von Mario Epanya. (© Mario Epanya)
Aïda Muluneh zu ihrer Serie WATER LIFE
Die Serie „Water Life“ wurde inspiriert von dem Gedicht Woman Work von Maya Angelou. Mein Hauptziel ist, die Misere des Wasserzugangs und ihre Auswirkungen nicht nur auf eine Gesellschaft, sondern auch auf Frauen in ländlichen Regionen zu thematisieren. Diejenigen von uns, die in Städten leben, halten das Privileg, Zugang zu Wasser zu haben, oft für selbstverständlich, während diejenigen, die außerhalb der Städte leben, mit Herausforderungen konfrontiert sind, die nicht nur ihre Gesundheit beeinträchtigen, sondern auch ihre Möglichkeiten, zur Entwicklung ihrer Gemeinschaften beizutragen. Vor diesem Hintergrund ist jedes Bild der Serie eine Reflexion über die Auswirkungen des Zugangs zum Wasser auf die Selbstbestimmung von Frauen, auf Gesundheit, Hygiene und Bildung. Ich habe in mehreren Regionen Äthiopiens gearbeitet und bin dabei Frauen begegnet, die zu Fuß die schwere Last des Wassertransports auf sich nehmen. Frauen verbringen viel Zeit damit, Wasser für den Haushalt zu holen, was sich nachteilig auf den Status der Frauen in unserer Gesellschaft auswirkt. Die Dringlichkeit, den Zugang zu Wasser in den ländlichen Regionen Afrikas zu unterstützen, betrifft verschiedene soziale Fragen und ist auch ein entscheidender Faktor für die Selbsterhaltung einer Gemeinschaft. Einige dieser Werke wurden in Dallol, Afar, Äthiopien angefertigt, um die Botschaft zu unterstreichen, die ich durch Kunst vermittle. Die Welt wird ständig mit der sozialen Notlage Afrikas konfrontiert, daher lag mein Schwerpunkt bei diesem Projekt darauf, diese Themen ohne die Klischees zu behandeln, die wir in den Mainstream-Medien sehen. („Star Shine, Moon Glow“, 2018 | Aus der Serie „Water Life“, Commissioned by WaterAid and supported by the H&M Foundation | © Aïda Muluneh, 2024)
Aïda Muluneh zu ihrer Serie WINGS THAT SOAR
Literatur, vor allem Lyrik war für mich schon immer eine wichtige Inspiration. Das Gedicht
‘Hope’ is the Thing with Feathers der amerikanischen Dichterin Emily Dickinson (1830–1886) hat mich zu dieser Serie veranlasst. Es widmet sich ebenso wie Wings that Soar
dem Thema, die Hoffnung nicht aufzugeben, so schwer das auch sein mag. („You Never Knew“, 2019 | Aus der Serie „Wings that Soar „| © Aïda Muluneh, 2024)
Aïda Muluneh zu ihrer Serie THE MEMORY OF HOPE
Wie das Sehnen nach dem Kuss des Geliebten haben wir einst auch die Hoffnung gelebt,
mit Begeisterung und Leidenschaft für das, was richtig und falsch war in dieser Welt. Jetzt stehen wir an den Ufern der Zukunft und sehen in der Ferne nur noch die Erinnerung an Hoffnung. In unseren Freiheitserwartungen suchen wir nach Bestätigung gerechter Wege, doch unsere Realität spiegelt die Finsternis unseres Menschseins wider. Wir sind die Zeugen, die am Wegesrand stehen, gefesselt durch Bequemlichkeit und Konformität. Wir sind Beobachter des Schmerzes anderer, und wir sind Befürworter einer verzerrten Zukunft. Wir sind die blinden Augen, die sich einer Manifestierung unserer eigenen Ängste zugewandt haben – der Angst, nicht gegen den Strom zu schwimmen, sondern sich nur um unsere eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Während das Unglück anderer über unsere Bildschirme flimmert, vergessen wir, dass das Leid anderer schließlich auch zu uns finden wird. In dieser Werkserie geht es um die Zukunft und um diejenigen, die unsere Last tragen, die sich dem Imperium der Ignoranz und der Gier entgegenstellen. Passivität ist keine Option. Die Gewalt, die von denjenigen ausgeht, die von den Mühen der Benachteiligten profitieren, ist ein Ausdruck dafür, wie wir dazu beitragen, unsere Unterschiede auf der Grundlage eines Idealismus der Überlegenheit und des Egoismus aufrechtzuerhalten. Als Katalysatoren des Wandels müssen wir die „Hoffnung“ in Frage stellen, wenn wir zum Handeln für eine bessere Welt aufrufen. Diese Serie soll das zum Ausdruck bringen, was wir oftmals nicht hören wollen, und das zeigen, was wir oftmals nicht sehen. („The American Dream“, 2017 | Aus der Serie „The Memory Of Hope“ | © Aïda Muluneh, 2024)
Aïda Muluneh zu ihrer Serie THE WORLD IS 9
Als ich nach Addis Abeba zurückkehrte, wurden die ersten neun Jahre zu einer Lektion – zum einen in Demut, zum anderen darüber, was es bedeutet, in ein Land zurückzukehren, das mir fremd war. In diesen neun Jahren erinnerte ich mich oft an einen Ausspruch meiner Großmutter: „Die Welt ist 9, sie ist nie vollständig und sie ist nie perfekt.“ Ich fand das interessant, aber erst später, als ich erwachsen war, hallte ihre Botschaft in meinen Gedanken als Überlegung nach, ob wir in dieser Welt in voller Zufriedenheit leben können.
Wir sind Idealisten, die nach Vollkommenheit streben, aber in einer Realität leben, die uns dieses Gleichgewicht nicht bietet. Das Leben ist unberechenbar und unvollkommen – wir müssen diese Herausforderungen mit Kraft und Ausdauer meistern, denn die Welt in uns und die Welt, die an unsere Tür klopft, bergen eine unbekannte Zukunft. Dennoch wurde ich durch diese Erfahrungen zu neuen Arbeiten inspiriert. Jedes Bild ist eine Erkundung von Fragen über das Leben, die Liebe und die Geschichte. Ich suche nicht nach Antworten, sondern stelle provokante Fragen zu dem Leben, das wir leben – als Menschen, als Nationen, als Wesen. Ich habe mich entschieden, in meiner Arbeit Körperbemalung einzusetzen, die von der traditionellen Körperkunst in ganz Afrika inspiriert ist. Jedes Werk ist eine Reflexion bewusster und unbewusster Manifestationen von Zeit und Raum. („Sai Mado/ The Distant Gaze“, 2016 | Aus der Serie „The World is 9“ | © Aïda Muluneh, 2024)
Aïda Muluneh zu ihrer Serie THE ROAD OF GLORY
Seit Anbeginn der Zeit ist die Spezies Mensch dem Leid ausgesetzt. Auch wenn unsere
Existenz auf diesem Planeten ein Geschenk des Denkens und der Schaffenskraft ist, sind
unsere Errungenschaften von systematischer Zerstörung und Leid geprägt. Angesichts
dessen müssen wir uns fragen, ob unser Streben nach Fortschritt nicht auch dazu geführt hat, dass wir unser Mitgefühl füreinander verloren haben. Da ich die meiste Zeit meines Lebens in verschiedenen Teilen der Welt verbracht habe, habe ich gelernt zu verstehen, dass unser Leid ein Muster ist, das wir schaffen und auch wieder auflösen können. In dieser Serie verstehe ich jedes Bild zunächst als eine visuelle Provokation, in der ein Gleichgewicht zwischen Vertrautem und Fremdem besteht, und die den Blick des Betrachters zuerst durch die Intensität der Farben fesselt. Doch jedes Bild ist auch eine Geschichte – eine Geschichte, die von Momenten, Emotionen, Schmerz, Einsamkeit, Wut und der tiefen Traurigkeit derjenigen geprägt ist, die in das Kreuzfeuer der politischen Agenden geraten sind. Ich habe mich entschieden, mich auf verschiedene Länder in unterschiedlichen Momenten der Geschichte zu konzentrieren. Mein Hauptziel war es, mit jedem Werk eine Darstellung zu schaffen, die keine genaue Dokumentation von Leid und Tod ist, sondern vielmehr ein künstlerischer Ansatz, der die Betrachter animiert, die dargestellten Themen weiter zu erforschen und über die persönliche Bequemlichkeit hinauszugehen. Im Kern zielt meine Aussage auf jeden Menschen, der tragische und gewalttätige Entscheidungen ertragen muss, die hinter verschlossenen Türen getroffen werden. Wenn wir aus der Ferne miterleben, wie Menschen in Ländern wie dem Jemen an Hunger zugrunde gehen, kann ich nicht anders, als an die Tränen der Mütter zu denken, die den Tod ihrer Kinder miterleben müssen, und an die Wut der Jugendlichen, die hilflos mit ansehen müssen, wie nicht nur die Menschen um sie herum sterben, sondern auch ein Leben und ihre Zukunft. Warum gelingt es uns trotz aller technischen Fortschritte nicht, das Leiden zu lindern? Stattdessen schwankt unser Glaube mit fortschreitender Zeit im Sturm des Unfriedens, und wir werden unparteiisch gegenüber der menschlichen Situation der weniger Glücklichen, und wir verstricken uns in die Verleugnung, dass das, was uns durch Zeit und Raum trennt, in Wirklichkeit ein Spiegelbild unseres kollektiven Bewusstseins ist.
In Auftrag gegeben vom Nobel-Friedenszentrum, Oslo, Norwegen
(„In Which We Remain“ (Namibia), 2020 | Aus der Serie „The Road of Glory“ | © Aïda Muluneh, 2024)
Siehe Text Bild 2. („Black Jesus“, 2019 | Aus der Serie „Wings that Soar“ | © Aïda Muluneh , 2024)