Zwei Welten in einer Kamera
Die Videoeigenschaften aktueller Kameras werden immer wichtiger. Sechs Folgen lang wollen wir uns deshalb mit der Frage beschäftigen, wie Sie mit der DSLM oder der DSLR gute Filme drehen. Von Jörg Jovy
Es war nachts in einem Vergnügungspark im Norden des Irak, als ich zum ersten Mal eine Canon EOS 7D im Videoeinsatz sah. Interviewt wurden die Mitglieder der Münchener Popband Fertig-Los, die 2011 ein Kulturfestival in die kurdischen Berge verschlagen hatte. Die Reise der drei Bandmitglieder wurde für ein Onlinetagebuch als Film dokumentiert. Entspannt saß der Kameramann in einem Sessel und interviewte die Musiker bei Kerzenlicht. Ein mitgereister Freund des Kameramanns schwenkte ein Mikrofon jeweils in die Richtung des gerade Sprechenden. So einfach kann Fernsehen sein. Keine 200 Kilogramm Übergepäck, die ich beim Einchecken am Flughafen München noch teuer bezahlen musste, keine 13 Kilogramm schwere Kamera mit einem entsprechenden Stativ, die herumgetragen werden wollen. Sondern spontan gedreht – nur mit den verfügbaren Lichtquellen. Ich habe mir das Ergebnis damals kritisch angeschaut. Denn kann es wirklich sein, dass man mit einer Ausrüstung für wenige tausend Euro das gleiche Ergebnis erzielt wie mit Investitionen im fünfstelligen Bereich? Antwort: Ja, man kann. Und mehr: In einigen Bereichen war die Spiegelreflexkamera dem Cine-Camcorder mit seinem kleinen 1-Zoll-Sensor sogar deutlich überlegen. Selektive Schärfentiefe, wie Sie in der Videowelt stets unerreichbar schien, und Brennweite gab‘s satt.
Videofilmer und Fotografen beäugen sich seit dem Beginn des Booms der spiegellosen Kameras argwöhnisch. Denn Video war lange Zeit das hässliche Entlein unter den Bildmedien. Gut genug für Nachrichten und Magazinbeiträge, aber ästhetisch völlig unzulänglich. Gleichzeitig aber wuchs der Videomarkt. Täglich rufen heute über zwei Milliarden Nutzer weltweit ein Video auf YouTube ab. Kunden, die früher für Anzeigen und Broschüren nur Fotos benötigten, verlangen jetzt auch Videos, um ihre Produkte auf Facebook und Instagram zu präsentieren. Die Welt will mehr Video sehen. Und deshalb kann heute jede Spiegelreflexkamera und jede Spiegellose auch Film – und das in erstaunlich hoher Qualität. Die Videoboliden von Panasonic und Sony wie die S1H und die Alpha 7S III warten mit technischen Eigenschaften auf, die Kinoqualität versprechen und auch liefern: Volle Bildkontrolle in der Nachbearbeitung dank RAW-Video, viel mehr Farben, Aufnahmeraten von 100 Bildern pro Sekunde und mehr, 15 Blenden Dynamikumfang und HDR-Fähigkeiten auch im
Bewegtbild. Die Videoeigenschaften eines neuen Kameramodells sind heute oft genauso entscheidend wie seine Fotoausstattung. Der indische Filmemacher Sareesh Sudhakaran, der gleichermaßen mit Filmkameras und Fotokameras dreht, hat Sonys jüngste und eng verwandte Videoboliden, die Alpha 7S III und die FX 6 miteinander verglichen. Ergebnis: Die FX6 ist zweifellos die bessere Videokamera. Der spiegellosen Konkurrenz fehlen drei Dinge: eingebaute ND-Filter, ein ordentlicher Audiomischer mit XLR-Eingängen, um hochwertige Mikrofone anzuschließen, und ein Griff, um sie sicher aus der Hand zu führen. Doch auch in seinen Augen ist die Kamera ein Treffer – und sie ist etwa 2.000 Euro billiger.
Vom Fotoapparat zur Filmkamera
Tatsächlich sind alle Fotokameras von Haus aus nicht gerade für einen Einsatz im Filmalltag gerüstet, selbst wenn die Hersteller sie als Videospezialisten anpreisen. Es fehlt ein stabiler Griff, an dem man sie auch nah über dem Boden führen kann oder einfach nur sicher hält, bis der Body in der Stativplatte einrastet. Der Platz auf dem Blitzschuh ist heiß umkämpft von externem Mikro, Aufstecklampe und großem Monitor. Und während der Filmer einfach einen passenden ND-Filter in den Strahlengang schiebt, verlangt die Fotokamera entweder aufschraubbare Fader oder eine Matte-Box mit 4×4-Filterhaltern. Wer häufiger mit seiner Fotokamera filmen möchte, wird über kurz oder lang die ergonomischen Schwächen entdecken und nach einer Lösung suchen. Und die liegt in den meisten Fällen in der Anschaffung eines Kamerarigs. Herzstück ist immer ein sogenannter Kamerakäfig (Cage) mit Haltestangen (Rods). Der Cage wird für jeden Body maßgeschneidert.
Den ganzen Test finden Sie in der Photographie Ausgabe 3-4/21 – jetzt auch als PDF-Version – oder im e-paper.