Our Biosphere (17-teilige Serie) | Foto + Text: Johann Karl
Mit meiner Serie möchte ich einen Einblick hinter die Kulissen verschiedener Biodiversitäts-Forschungsprojekte ermöglichen. Beispielsweise untersucht das „AquaDiva“ Projekt in der Nähe des thüringischen Nationalparks Hainich, wie die lokale Geologie und Landnutzung die Biodiversität unterirdischer Lebensräume beeinflusst. Um den negativen Auswirkungen der Lichtverschmutzung auf die Insektenbestände entgegen
zu wirken, wird in dem Projekt „Artenschutz durch umweltverträgliche Beleuchtung“ in Neuglobsow in Brandenburg ein Straßenbeleuchtungssystem entwickelt, das nachtaktive Insekten und andere Tiere besser schützt. In der Forschungsplattform „iDiv Ecotron“ nahe Leipzig können in jeder der 24 „EcoUnits“ ein bis vier unabhängige Okösysteme simuliert bzw. beherbergt werden. Hier geht es darum, Diversität in ober- und unterirdischen Nahrungsnetzen zu manipulieren und die Effekte auf viele Ökosystemfunktionen zu erforschen.
„Mischlaub 2042“ (9-teilige Serie) | Foto + Text: Linda Kerstein
„Mischlaub 2042“ ist ein Zukunftsszenario, in welchem wir Menschen zu
spät gehandelt haben, um den Verlust an Biodiversität zu stoppen. Um jedoch den Anschein von Vielfalt zu bewahren, werden die Pflanzen geschmückt und ergänzt, falsche Früchte werden in Sträucher gehangen und der Mensch, zudem mit Resten seiner Plastik-Hinterlassenschaft zugange, kann nur darüber grübeln, was noch natürlich ist und was nicht.
„Felflora per se“ (12-teilige Serie) | Foto + Text: Thilo Mokros
Die Fotoserie macht die unsichtbaren „Schätze“ in Äckern Brandenburgs sichtbar. Zum einen zeigt sie in den „Ackerstücken“ Porträts von einheimischen Wildkräutern aus dem Untergeschoss der Nutzpflanzen. Zum anderen zeigen „Transekte“ genannte Bilder die Farben der Blüten von Wildkräutern, die im Laufe eines Sommers in den betreffenden Äckern geblüht haben. Die meisten Acker-Wildkräuter sind klein und leben verborgen unter den Nutzpflanzen. Um diese Kräuter und damit die Biodiversität im Acker sichtbar zu machen, werden die Farbmuster ihrer Blüten in den „Transekt“-Bildern genauso groß dargestellt, wie die gut sichtbaren, hohen und großblütigen Beikräuter, wie Kornblume, Mohn und Kamille. Auf diese Weise wird auf einen Blick offenkundig, dass im Ökolandbau viele Wildkräuter einen Lebensraum finden können. Unter starkem Einsatz von Herbi-, Pesti- und Fungiziden fehlen Beikräuter im hier gezeigten Fall konventioneller Landwirtschaft aber vollständig. Es bleiben nur die im Jahresgang von Grün zu Beige wechselnden Farben des Getreides übrig. Dabei werden auch im Ökolandbau die Äcker und die Gemüseanbauflächen zunächst vorbereitet. Die nackten Böden scheinen anfangs „steril“ wie im konventionellen Anbau. Doch die Bilder zeigen, hier bleibt für die wilde Saat Raum aufzugehen. Transekt ist ein Begriff aus der Feldforschung und bezeichnet Untersuchungspunkte, die entlang einer Linie durchs Gelände führen. Die „Transekte“ genannten Bilder zeigen einheimische Beikräuter, die im Laufe des Sommers 2020 entlang eines Transektes durch die Äcker aufgefunden und fotografiert wurden. Durch die Fotos ihrer Blüten wurden wiederum in der Bildbearbeitung Linien (also im Grunde genommen auch Transekte) gelegt. Die dabei isolierten Farbmuster wurden in Linienmustern bildnerisch dargestellt.
Entstellt (12-teilige Serie) | Foto + Text: Caro Lenhart
Schwaches Licht. Haut. Enge. Die Massentierhaltung hat immense Auswirkungen und „entstellt“ nicht nur unsere Umwelt, sondern auch die sogenannten Nutztiere. Wir stellen soziale Tiere wie Schweine oder Rinder auf Spaltenböden und entfernen ihnen Hörner und Schwänze, damit sie sich und andere in der Enge ihrer Ställe nicht verletzen können. Die Haltungsbedingungen der Intensiv-Tierhaltung sind bekannt, trotzdem gelingt es uns viel zu oft, sie zu verdrängen. In meiner aus Selbstportraits bestehenden, fotografischen Serie beschäftige ich mich mit der visuellen Abstraktion dieser Entstellung und will so meine Augen nicht länger davor verschließen.
„Glyphosate bonding“ (10-teilige Serie) | Foto + Text: Eun Sun Cho
Das Grundprinzip von Glyphosat als Herbizid basiert auf der Hemmung des Shikimatweges. Der Shikimatweg ist ein siebenstufiger Stoffwechselweg, der von Pflanzen zur Biosynthese aromatischer Aminosäuren verwendet wird. Durch die Bindung von Mangan, das ein wesentlicher Bestandteil des Enzyms ist, und Glyphosat wird der Shikimatweg gehemmt und die Pflanzen sind mit sofortiger Wirkung tot. „Glyphosate Bonding“ macht mit künstlerischwissenschaftlichen Mitteln in drei Kapiteln die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Organismen und Glyphosat auf molekularer Ebene sichtbar.
„Biodiversität - Eine Annäherung“ (13-teilige Serie) | Foto + Text: Sbrina Radeck
Was passiert, wenn man für ein spannendes Foto-Projekt angefragt wird und überhaupt keine Idee kommen will? Und wenn dann doch eine Idee kommt, wie weit will man gehen, sie zu verwirklichen? Wenn die Idee die Vergiftung einer Mohnblume mit Glyphosat wäre, wäre das die lang ersehnte Inspiration oder etwa kaltblütiger Mord? Was tun, wenn die Antwort „kaltblütiger Mord“ lautete, aber die Abgabefrist für das Projekt dräute? In ihrer Arbeit „Biodiversität – eine Annäherung“ macht Sabrina Radeck den künstlerischen Prozess sichtbar, der im Zusammenhang mit Projektarbeiten oft im Verborgenen bleibt. Das Darstellen des Machens wird zum Werk – und hält am Ende noch eine Überraschung bereit.
„Bug Resistance“ (4-teilige Serie, Video-Animation, Flyer, interaktive Web-App) | Foto + Text: Jakob Wierzba
Ich begann mit BUG RESISTANCE als ich erfuhr, dass es neben chemischen und biologischen auch digitale Pestizide gibt. Kameras und maschinelles Sehen (computer vision) zählen oder identifizieren Schädlinge, wie bestimmte Insekten. Ein Computermodell, üblicherweise ein neuronales Netzwerk, entscheidet über Leben und Tod. Was, wenn es sich irrt? Wie oft irrt es sich? Wer trainiert das neuronale Netzwerk? Woher kommt das Bildmaterial? Ist das wichtig? Kann ich es austricksen? Also programmierte ich einen Evolutions-Simulator. Evolutionäre Algorithmen sind nichts Neues, aber ich beschloss naiv vorzugehen. Würde die Evolution trotzdem funktionieren? Mein Versuchsaufbau:
1. Eine Kette von Zahlen und Zeichen wird die DNA des virtuellen Tierchens, sein Genom.
2. Ein Teil der Software, das „Ribosom-Modul“, interpretiert das Genom und zeichnet eine 3D-Figur, den Phänotyp. Es folgt einfachen Anweisungen wie „jetzt kommt ein großer roter Ellipsoid“, „zweige hier ab“ und „wiederhole diesen Teil“. Die Ergebnisse ähneln Ballon-Tieren, wie von einem Computer aus den 1990ern generiert.
3. Ein anderer Teil der Software, der „Klassifikator“, sieht sich diese Ballon-Tiere an und bestimmt wie sehr sie wie bestimmte Objekte aussehen. (Ich nutze ein fertig trainiertes Standard-Modell, welches oft in der Forschung eingesetzt wird; auf Fotografien unterscheidet es 1000 grundlegende Objekte wie „Tisch“, „Auto“ und „Supermarkt“, darunter auch 30 Arten von Insekten.)
4. Ein anderer Teil der Software, das „Evolutions-Modul“, wählt die Ballon-Tiere aus, die am meisten wie Insekten aussehen (die Fittesten) und lässt sie sich fortpflanzen. Es vervielfältigt ihre DNA mit kleinen Änderungen (Mutationen) und speist die neuen Nachkommen, die jetzt etwas anders aussehen, wieder in den Klassifikator ein.
5. Der Prozess wird wiederholt bis das Genom eine Figur repräsentiert, die tatsächlich wie ein Insekt aussieht. (Zum Beispiel „eine Biene, mit 95% Sicherheit“).
Das System ist erfolgreich. Das neuronale Netzwerk denkt, dass es Bienen, Fliegen, Spinnen und Gottesanbeterinnen sieht. In den Augen des Klassifikators gehen meine simplen computer-generierten Ballon-Tiere als Fotografien von Insekten durch. Das System unterläuft meine Erwartungen. Es erzeugt nicht nur Insekten mit Ballon-Kopf, Ballon-Körper und sechs Ballon-Beinen; es erfindet auch Mimikri. So wie ein Nachtpfauenauge uns mit falschen Raubtieraugen auf seinen Flügeln reinlegt, erzeugt das System wilde Kreaturen mit mehreren Anhängseln, die wie Ameisen aussehen und die den Klassifikator austricksen. Das System erfindet malerische Techniken. Gottesanbeterinnen lassen sich recht einfach als Ballon-Tier modellieren, aber um Bienen und Fliegen nachzubilden improvisiert das System chaotische Haufen von durchscheinenden Ballon-Häuten, die als verschmierte Pinselstriche erscheinen. Marienkäfer sitzen auf ihren riesigen grünen Gliedmaßen – die Evolution malt Blätter in den Hintergrund. Das System offenbart so seinen fotografischen Ursprung, und dessen Bias. Gottesanbeterinnen sind fotogen, ganz anders Bienen und Fliegen, die auf Fotos oft als dunkle, unscharfe Flecken enden. Die menschliche Subjektivität lauert im scheinbar objektiven Modell. Das System widersteht meinen Versuchen es zu kontrollieren. Ich hatte die DNA sehr kompakt und „verwickelt“ angelegt um „intelligentem Design“ – durch mich oder den Algorithmus – vorzubeugen. Es funktionierte: Als ich doch gezielt ein paar Beispiel-Insekten erzeugen wollte, hatte ich große Schwierigkeiten auch nur einfache Formen herzustellen. Es gibt keine 1:1-Beziehung zwischen einfachen Genen und phänotypischen Eigenschaften; zum Beispiel kann man nicht ein bestimmtes Gen editieren, um etwa die Farbe des Kopfes zu ändern, ohne dass sich gleichzeitig etwa die Länge der Beine ändert. So wie die echte Evolution ist mein Evolutions-Modul geduldiger, methodischer und stört sich nicht daran Tausende von (Fehl-)Versuchen durchzuführen. Das System überwand sogar einen schweren Programmierfehler – und zwar so gut,
dass mir der Fehler erst spät auffiel. Meine ursprüngliche Absicht war es, Schädlinge zu züchten, die resistent würden gegen digitale, künstlich intelligente Pestizide. Stattdessen
erkenne ich in meinen Geschöpfen die seltsamen Bedingungen ihrer Entstehung, meine Naivität – und die Schönheit der „Natur“.
BUG RESISTANCE hat mehrere Komponenten:
• Porträts von Insekten (Inkjet-Print, 75×100 cm)
• ein Stammbaum (Inkjet-Print, 100×175 cm)
• eine Video-Animation von Evolutionsschritten (HD, 2 min)
• 10 Flyer mit Insekten-Porträts (Offset-Druck, 10×10cm, Auflage 10×250), mit QR-Codes, die auf ihre Websites verlinken
• eine interaktive Web-App mit 3D-Figuren und einer Spiel-Version des evolutionären Prozesses. https://bugs.cyfta.com/