Das Bild vom Schwarzen Loch

Photographie Schawarze Loch
Bildcredit: EHT Collaboration

NEUER BLICK AUF DAS UNIVERSUM

Eine erste grobe Einordnung: Dieses Bild zeigt das 55 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernte und 6,5 Milliarden Sonnenmassen schwere Schwarze Loch im Zentrum der Galaxie Messier 87 im Sternbild Jungfrau. Wobei wir genau genommen nicht das eigentliche Loch sehen (Schwarze Löcher selbst lassen sich schlechterdings beobachten, weil sie eine extreme Masse auf minimalem Raum konzentrieren und ab ihrer Grenze – dem ebenfalls unsichtbaren Ereignishorizont – alles aufsaugen wie ein kosmischer Staubsauger – Materie, aber auch masselose Lichtteilchen). Was wir vielmehr sehen, ist die sogenannte Akkretionsscheibe: Gas- und Staubmassen, die, von dem winzigen Gravitationsmonster angezogen, sich durch Reibung zu einem einige Millionen Kelvin heißen Plasmaring aufheizen. Die eigentliche Sensation aber ist der dunkle Zentralbereich des Bildes. Er zeigt den knapp 40 Milliarden km messenden Schatten, den das Loch wirft – ein Phänomen, das Einstein bereits in seiner allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt hatte. Doch die Geschichte wird noch unglaublicher. Denn das, was aussieht wie ein orange und gelb leuchtender, ein wenig unscharfer Donut, ist keine Fotografie und auch kein einzelnes Radiobild, sondern ein Petabyte großes Rechenbild. Die Grundlagen lieferte das sogenannte Ereignishorizontteleskop (EHT) – eine erdumspannende Anordnung von acht auf Vulkanen in Hawaii, Mexiko, Arizona, der spanischen Sierra Nevada, der chilenischen Atacama-Wüste und der Antarktis stehenden Radioteleskopen, die, per Atomuhr synchronisiert, zu einem einzigen virtuellen Teleskop zusammengeschlossen wurden. Der Durchmesser ebendieses Ereignishorizontteleskops entspricht nahezu dem der Erde. Seine Winkelauflösung sei so hoch, dass man mit einem vergleichbaren optischen Teleskop von einem Pariser Café aus eine Zeitung in New York lesen könnte, ließ das mehr als 200 Forscher starke EHT-Team verlauten. Jedes der acht Teleskope produzierte an jedem der vier Beobachtungstage rund 350 Terabyte Daten, die auf mit Helium gefüllten Festplatten gespeichert und zu Supercomputern geflogen und dort in zweijähriger Rechenarbeit in ein Bild umgewandelt wurden. Das Bild des EHT-Teams wurde am 10. April 2019 veröffentlicht und es ist schon jetzt historisch – in einem doppelten Sinne. Zum einen liefert es den Blick in eine weit entfernte Vergangenheit. Denn weil die Strahlen eine Strecke von 55 Millionen Lichtjahren reisten, ehe sie die Teleskope erreichten, sehen wir eine Momentaufnahme, die 55 Mio. Erdenjahre zurückliegt. Zum anderen aber blicken wir in die Zukunft: Denn dieses erste Bild eines Schwarzen Lochs, dem weitere, höher aufgelöste folgen werden, lässt die Physiker tiefer in die Geheimnisse des Universums eintauchen. Es könnte, so hoffen sie, dabei helfen, endlich den Heiligen Gral der Physik zu knacken und „die Theorie von allem“ zu entwickeln: eine Weltformel, die die physikalischen Phänomene im Universum präzise beschreibt und verknüpft. Aber da ist noch etwas, was dieses Bild, das sich bald in jedem Physikbuch wiederfinden dürfte, zu etwas Einzigartigem macht: die Tatsache, dass es sich keinem einzelnen Bildautor zuordnen lässt, weil es kein noch so kluges Hirn und kein noch so hochauflösendes Teleskop allein hätte produzieren können. Es ist das unbedingte Ergebnis einer weltumspannenden Gemeinschaftsarbeit: eine Weltanschauung im Wortsinn.

Peter Schuffelen