Bessere Bilder mit dem Smartphone

AUS JEDEM WINKEL

Heute kommt praktisch kein aktuelles Smartphone mehr ohne Mehrfachoptik aus. Die Wahl der passenden Brennweite ist dabei längst nicht so banal wie bei herkömmlichen Kameras. Mit unseren Tipps treffen Sie die richtige Wahl.

Smartphones mit Mehrfachkameras versprechen mehr Flexibilität, weil sie statt einer verschiedene optische Brennweiten an Bord haben. Neben dem Zoom ohne Qualitätsverlust erleichtert das Software-Tricksereien wie Porträtaufnahmen mit künstlerischer Hintergrundunschärfe. Trunken vor kreativer Freiheit sollte aber niemand die Wahl der Brennweite und des Betriebsmodus auf die leichte Schulter nehmen. Anders als bei herkömmlichen Kameras variieren nicht nur die Lichtstärke, sondern auch die Sensorgröße und deren Auflösung hinter den Festbrennweiten der Smartphones. Dadurch schwankt die Güte des Outputs stark. Außerdem sind bildverbessernde Kniffe wie Pixel-Binning und HDR-Aufnahmen meist an den Einsatz der Hauptkamera gekoppelt. In welchen Fällen Sie sich vor Fehlbedienungen hüten sollten und wie Sie das meiste aus Ihrem Mehrfachkamera-Set-up herausholen, erfahren Sie hier.

Achten Sie aufs Kleingedruckte
Die Einheiten sind oft unterschiedlich leistungsstark. Hauptkamera, Ultraweitwinkel, Tele, Makro – so lautet die absteigende Qualitätsrangfolge. Meist ist nur die Hauptkamera werbewirksam aufgemotzt und bietet den im Vergleich größten Sensor und die lichtstärkste Blendenöffnung mit einem Wert zwischen f/1,5 und f/1,8. Für die anderen Aufnahmeeinheiten lassen die Hersteller weniger Platz übrig und verpacken dort kleinere Chips und lichtschwächere Objektive. Bei Ultraweitwinkelkameras ist ein Wert um die f/2,2 üblich, bei Telekameras wird es selten besser als f/2,4, oft liegt es eher bei f/3,5. Immerhin tragen die Hersteller der geringen Sensorgröße der Telekameras Rechnung und reduzieren die Auflösung dann auf 5, 8 oder 12 Megapixel. Die der Ultraweitwinkelkamera bleibt aber mit 16 Megapixeln und mehr meist hoch. Die Folge sind im schlimmsten Fall verrauschte Ultraweitwinkelaufnahmen und matschige Zoomfotos, insbesondere jenseits der dreifachen Vergrößerung.

Die Tücken der Gemengelage
Zwei, drei, vier, seltener sogar fünf Kameraeinheiten verbauen immer mehr Hersteller auf der Rückseite ihrer Smartphones. So manche Zählweise ist ein Bluff, weil die Marktschreier der Firmen auch die Assistenzsensoren mit dazurechnen. In Wirklichkeit kommen meist nur zwei bis drei echte optische Festbrennweiten mit Standardweitwinkel, Ultraweitwinkel und Normal- bis leichter Telestellung zum Einsatz. Das ist zwar ein erheblicher Vorteil gegenüber den einäugigen Smartphone- Kameras, aber selten das, was vollmundige Ankündigungen versprechen.
Mit einer rechnerischen Zusammenlegung von Pixeln lässt sich oft noch mehr Qualität herausholen. Dann erzeugt eine 48-Megapixel-Hauptkamera eine Bilddatei mit 12 Megapixeln. Schärfe und Dynamikumfang profitieren davon. Nur in seltenen Fällen wenden Hersteller dieses Pixel-Binning auch auf die Ultraweitwinkelkamera an, etwa beim OnePlus 8 Pro und Oppo Find X2 ist das der Fall. Bei den Teles sparen sie sich dieses aufwendige Verfahren noch.
Daher sollten Sie für Fotokunst mit höchsten technischen Ansprüchen die Hauptkamera be-vorzugen und deren Standardweitwinkel in Ihrer Bildkomposition berücksichtigen. Für die weiteren Kameras gilt folgende Faustregel: Die benachbarte Ultraweitwinkelkamera beschränken Sie am besten auf Einsätze mit guten Lichtbedingungen und bei Teles sollten Sie der Versuchung widerstehen, bis zum Ende zu zoomen.

Der richtige Modus für die Brennweite
Wenn bei Ihrem sündhaft teuren 24-70-mm-Zoom ihrer Vollformat-DSLR nach einem Dreh am Betriebswahlrad plötzlich die Telebrennweite nicht mehr verfügbar wäre, würden Sie sich zu Recht wundern. Bei Smartphones mit Mehrfachkameras ist das aber der Normalfall. Daher sollten Sie sich mit der Kamera-App Ihres Smartphones vertraut machen, um auch für spontane Fotogelegenheiten immer die passende Brennweite zur Hand zu haben. Während im normalen Foto-Modus alle Brennweiten verfügbar sind, ist das in den anderen Betriebsseinstellungen oft nicht der Fall. Insbesondere im Nachtmodus für scharfe Schwachlichtaufnahmen aus freier Hand und im RAW-fähigen Pro-Modus finden Sie oft eine eingeschränkte Auswahl. Eine wohltuende Ausnahme ist hier beispielsweise das Xiaomi Mi Note 10, mit dem Sie auch Rohdatenbilder in allen Brennweiten aufnehmen können.
LG und Samsung gehören zwar ebenfalls zu den Vertretern, die die Brennweitenauswahl in vielen Modi künstlich beschränken. Allerdings bieten sie im Gegensatz dazu sogar einen Modus, in dem mit nur einem Tipp auf dem Auslöser mehrere Brennweiten gleichzeitig ein Foto aufnehmen. Single Take heißt diese Funktion bei Samsungs Modellen der S10- und S20-Serie, als Triple Shot haben wir das im Test des LG G8S ThinQ kennengelernt. Das ist praktisch, wenn Sie eine Szene aus mehreren Blickwinkeln beleuchten möchten, es aber keine zweite Chance gibt.
Wollen Sie Kleines möglichst formatfüllend ablichten, greifen Sie erfahrungsgemäß am besten zum Standardweitwinkel der Hauptkamera oder zum benachbarten Ultraweitwinkel. Diese verfügen in der Regel über die geringste Nahgrenze. Mit den Teles sind selten Aufnahmen aus kurzer Distanz möglich. Selbst Smartphones, die über separate Makrokameras verfügen, verwenden dafür meist ein weitwinkliges Objektiv.

Mythos Digitalzoom
Entferntes groß abbilden zu können, war lange Zeit eine Schwäche von Smartphone-Kameras. Seit dem Einzug der Telezoom-Festbrennweiten ändert sich das. Und sogar in vielen höherpreisigen Modellen, die ohne langes optisches Zoom auskommen, steigen die Telefähigkeiten. Zwar ist optischer Zoom einem digitalen Ersatz vorzuziehen. Aber mithilfe maschineller Lernverfahren der künstlichen Intelligenz gelingt es zumindest den Platzhirschen der Branche, digitale Bildvergrößerungen ohne den dramatischen Qualitätsverlust von einst zu realisieren. Eindrucksvolle Fortschritte erzielt KI-Spezialist Google, der im Pixel 4 ein zweifaches optisches Zoom so clever durch Bildverbesserungsverfahren ergänzt, dass selbst eine kombinierte achtfache Vergrößerung brauchbar aussieht. So führt hier ein Digitalzoom meist zu saubereren Ergebnissen als ein nachträglicher Beschnitt am Rechner.
Sofern Sie mit einem Oberklassegerät fotografieren, können Sie ruhig auch ein wenig digital zoomen. Aber tun Sie das mit Bedacht und schöpfen Sie zunächst die volle Qualitätsreserve der optischen Vergrößerung aus. Das bedeutet: Wählen Sie am besten gezielt per Tastendruck zwischen der Brennweiten-Hardware. Meist sind die Symbole mit „0,6x“, „1x“, „2x“ und so weiter beschriftet.

Schwachlicht: lieber KI als RAW
Software egalisiert längst nicht mehr nur die Defizite miniaturhafter Smartphone-Hardware. Sie ist inzwischen zur Stärke dieser „Immer-dabei-Kameras“ gereift. Das beste Beispiel dafür sind die speziellen Aufnahmemodi für Nachtaufnahmen künstlich beleuchteter Stadtlandschaften. Dabei handelt es sich letztlich um miteinander direkt im Gerät kombinierte Mehrfachbelichtungen. Die Folge ist eine bessere Durchzeichnung in hellen und dunklen Bildbereichen. Auch wenn die Betriebsmodi meist „Nacht“ im Namen tragen, müssen Sie das nicht wörtlich nehmen. In anderen schwierigen Lichtsituationen ist der Effekt ebenfalls von Vorteil. Wenn Sie aber tatsächlich nachts oder in der Dämmerung fotografieren, sollte dieser spezielle Modus ihre erste Wahl sein. Stattdessen wie bei einer herkömmlichen Kamera in den manuellen Betrieb oder den Pro-Modus für RAW-Fotografie zu schalten, ist zwar ein natürlicher Impuls, beraubt Sie aber der Vor-züge automatischer Bildverbesserungen. Die Kamera-Software wendet die Rechenverfahren nur in Modi mit JPEG-Konvertierung an. Und die-se sind bei hochwertigen Modellen so ausgefeilt, dass sie jede RAW-Nachbearbeitung übertreffen. Dass eine physische Stabilisierung für Nachtauf-nahmen mit dem Smartphone nicht mehr zwin-gend nötig sind, ist schon ein grandioser Fort-schritt. Trotzdem kann der Einsatz eines Stativs von Vorteil sein. Modelle wie das Google Pixel 4 und OnePlus 8 Pro realisieren den festeren Stand anhand ihrer Bewegungssensoren und schalten dann die Option für längere Belichtungszeiten von bis zu 30 s frei.
Alternativ zum Nachtmodus kommt mitunter auch die normale Fotoautomatik infrage. Sofern sie mit einer KI-gestützten Motiverkennung ausgestat-tet ist und es nicht allzu finster ist, gelingen auch damit scharfe Schwachlichtbilder. Die Bildwirkung unterscheidet sich jedoch. Ob der Automatik- oder der spezielle Nachtmodus Ihren Geschmack besser trifft, kommt auf den Einzelfall an.

Tipps für natürlichere Porträts
Es gehört zum Foto-Abc, dass sich für Porträts Normal- oder mittlere Telebrennweiten am besten eignen. Dieser Grundsatz ist auch von Smart-phone-Fotografen zu beherzigen, denn die optischen Gesetze gelten trotz der Miniatur-Hardware ebenfalls in dieser Gerätekategorie.
Daher kann eine nachträglich beschnittene Weitwinkelaufnahme niemals so vorteilhaft aussehen wie ein per Tele fotografiertes Porträt. Obwohl viele Smartphones ausdrücklich einen Porträtmodus anbieten, ist letztere Option aber nicht immer verfügbar. Oft, weil sich der Begriff nicht auf die Brennweite, sondern auf die Software-Simulation künstlerischer Unschärfe bezieht – ein Teleobjektiv ist damit nicht automatisch vorhanden.
In anderen Fällen lässt sich dieser Unschärfeeffekt nur auf das Weitwinkelobjektiv der Hauptkamera anwenden, obwohl das Smartphone über ein Tele verfügt. Das mussten wir beim Test des LG G8S feststellen. Für Porträtfotografen ist das besonders ärgerlich, weil sie das selbst durch eine solide Recherche kaum herausfinden können. In solchen Fällen kann einem der Zubehörmarkt aus der Patsche helfen. Hersteller wie Moment und Olloclip bieten für populäre Smartphone-Modelle von Apple, Samsung und Google Aufstecklinsen. Sind diese montiert, erweitern sie wie ein Konverter die Brennweite der integrierten Optik. Keine Regel ohne Ausnahme: In schwierigen Lichtsituationen kann es am Ende doch vorteilhafter sein, zur Weitwinkel-Hauptkamera zu greifen. Sie ist nämlich immer lichtstärker als das Teleobjektiv. Auf ein nicht ideal proportioniertes Porträt zurückgreifen zu können, ist immer noch besser, als sich über ein verwackeltes Bild zu ärgern. Wie auch bei herkömmlichen Kameras sollte das Gesicht dann aber in der Bildmitte und etwas weiter von der Kamera entfernt sein.

Die komplette Ausgabe 06/2020 finden Sie im e-paper.

 

Text und Fotos: Berti Kolbow-Lehradt