LEIDER KEIN KINDERSPIEL

Babys ändern ihre Stimmung im Sekundentakt. Umso wichtiger, dass man sich als Fotograf enorme Gelassenheit antrainiert. fotolia.com © allari

BABYS VOR DER LINSE

Sie hören so wenig auf Kommandos wie ein Stillleben, sind launischer als so manches Supermodel doch wenn es klappt, gelingen Hammer-Bilder: Säuglinge zu fotografieren wird niemals zur Routine. Gerade deshalb sollte man die Kniffe kennen.

Eine Bekannte hatte mich angesprochen: Mit “Du, Du fotografierst doch…?!” begann ein Job, der eigentlich nur ein schneller Gefallen sein sollte und mir doch mehr Schweißperlen bescherte, als jede andere Arbeit, die ich zuvor gemacht hatte. Wir alle kennen diese unglaublich süßen Bilder von Babys in Blumentöpfen, auf XXL-Kuscheltieren, in Mamas Armen. Und ich glaube, dass es kaum einen anderen Fotografie-Stil gibt, bei dem die Schere zwischen “sieht leicht aus” und “ist schwer durchzuführen” so weit auseinanderklafft, wie bei Kindern zwischen 0 und 24 Monaten. Diesem ersten Shooting, das mit einem einzigen brauchbaren Foto endete, folgten unzählige weitere. Und meine Kniffe aus mittlerweile einem Jahrzehnt Baby-Fotografie möchte ich nun weitergeben.

1. BRINGEN SIE BLOSS ZEIT MIT
Das Model kann für eine Stunde gebucht werden. Für ein Produktshooting plant man drei ein. Aber wenn es um Babys geht, gibt es einfach keinen Zeitrahmen, der sich abschätzen ließe. Es kann phänomenal laufen. Sie legen los und können nach einer halben Stunde mit 500 Fotos auf der Speicherkarte die Familie wieder verlassen.

Ebenso gut kann es aber auch passieren, dass das Kind anfangs noch verschlafen ist, dann hungrig wird, dann vom Essen Bauchweh bekommt und erst nach vier Stunden in der richtigen Stimmung ist. Aus eigener Erfahrung rate ich daher: Am besten gar keine weiteren Termine an diesem Tag mehr einplanen.

Alle lachen, nur der Star nicht. Diesem Baby-Problem kann man nur durch viel Zeit ohne drängende Nachfolge-Termine begegnen. fotolia.com © Kadmy

2. ACHTEN SIE AUF DEN ISO-WERT
Die meisten Eltern bekommen schon einen Schreck, wenn man nur den Blitz aufsteckt – geschweige denn umfangreiche Studiosysteme. Laut der Aussage von Kinderärzten ist es zwar ein Mythos, dass Blitzlicht Babys Augen schädigen könnte. Aber alleine schon um die Eltern zu beruhigen (Argumente ziehen da selten) und weil ich festgestellt habe, dass Blitzen viele Kinder “nervöser” macht, verzichte ich mittlerweile darauf.

Doch weil die meisten Shootings in Räumen stattfinden, birgt das natürlich Lichtprobleme. Meine Empfehlung daher: Blende f/2 oder noch weiter geöffnet. Neugeborene, die sich kaum bewegen, lassen sich dann mit 1/60 ablichten. Hektische und sowieso etwas ältere Babys benötigen jedoch oft 1/125. Wenn dann der ISO-Wert notgedrungen hochgeht, steigt bei älteren Kameras das Bildrauschen oft unangenehm. Und erst seit ich Nikons neue D850 besitze, zusammen mit dem AF-S Nikkor 35mm 1:1,4G, mache ich mir wirklich gar keine Gedanken mehr um den ISO.

3. LERNEN SIE GIMPISCH
Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell sich Kinderhaut wandeln kann. Kurz nach der Geburt ist sie oft mit kleinen Reizungen, Flecken usw. übersät. Auch Pickel kommen vor. Und wenn die Laune nicht gerade sehr gut ist, wird das Baby-Gesichtchen auch sehr schnell ungleichmäßig rot.

Nichts davon sieht wirklich vorteilhaft aus und kann ein ansonsten schönes Bild kaputtmachen. Vor allem Fotoamateuren, die kein Geld für Photoshop ausgeben möchten, rate ich deshalb – ja, trotz aller echten und angeblichen Kniffligkeiten dieses Tools – sich GIMP zu besorgen und sich in die Grundlagen einzuarbeiten. Es ist sicher kein intuitives “installieren & loslegen”-Programm. Aber viele Profis, darunter ich, sind sich darüber einig, dass man nach einer gewissen Lernphase damit die gleichen Arbeiten ebenso gut und schnell erledigen kann wie mit dem großen Konkurrenten, darunter eben das Entfernen von Pickelchen und Zornesröte in Babys Gesicht und völlig kostenlos weil Open-Source.

Schlafende Babys sehen süß aus. Zudem ist es eine Gelegenheit, die Mutter ins Bild zu nehmen. fotolia.com © Oksana

4. IM ZWEIFELSFALL SCHLAFEN LASSEN
Viele Eltern, mit denen ich Termine ausmache, bitten darum, dass ich erst am frühen Nachmittag erscheine “dann ist der Kleine munter”. Ich verneine das meistens und komme eine halbe Stunde früher. Aus einem einfachen Grund: Ein schlafendes Baby sieht immer gut aus.
Egal, wie die Stimmungslage des Kindes nach dem Aufwachen auch sein wird, wenn es noch schlummernd daliegt, entstehen Fotos, die auf jeden Fall als kleine Rückversicherung gut wirken – und die man auch ohne viel Bearbeitung gleich vorzeigen kann. Zudem habe ich die Erfahrung gemacht, dass das Baby, wenn das Klicken des Auslösers schon in seine Träume wandert (das Fokus-Piepen schalte ich aus), wesentlich entspannter reagiert, wenn man nach dem Aufwachen einfach weiterarbeitet. Deshalb mein Tipp: Kamera noch im Auto bereit machen, mucksmäuschenstill die Wohnung betreten und gleich einige schnelle Bilder machen, gerne auch im Makro-Format. Das restliche Equipment kann man dann immer noch reinholen.

5. ÜBERTREIBEN SIE ES NICHT MIT DEM ZUBEHÖR
Ich fotografierte einmal bei einer Familie, in der es lange Zeit finanziell nicht rosig ausgesehen hatte. Just mit der Schwangerschaft kam auch ein neuer Job für Papa, der daraufhin viel Geld ausgab, um im nächsten Babygeschäft alles von Affe bis Zebra in Plüschform für seinen Stammhalter zu kaufen. Das Problem: Das alles sollte mit ins Bild.

So sehr ich auch Verständnis für die dokumentarische Neigung vieler Eltern zeige, möglichst alle Lieblingsspielzeuge mit ins Bild zu bekommen, empfehle ich doch dringend “weniger ist mehr”. Eine Decke, ein Korb, maximal ein Kuscheltier und das Drumherum steht. Alles andere lenkt zu sehr vom Star des Bildes ab und mehr sollte, wenn überhaupt, nur im Bokeh zu sehen sein. Wobei es natürlich noch die Alternative gibt, eine fotografische Baby-Traumwelt zu erschaffen. Eine Idee, die ich selbst definitiv noch probieren werde.

Babyfotos brauchen nicht viele Requisiten. Besonders wenn es ein älteres Geschwisterchen mitmacht. fotolia.com © JenkoAt

6. NUTZEN SIE DIE SERIENBILDFUNKTION
Speicherplatz ist spottbillig und gerade in der Babyfotografie gibt es beinahe mehr “Absolut einzigartig”-Situationen als bei der Sportfotografie. Wenn ich einen Säugling im Sucher habe, stehen deshalb meine Kameras grundsätzlich auf der schnellstmöglichen Serienbildfunktion. Denn das hat gleich zwei Vorteile:

1. Man hat die wesentlich höhere Chance, ein Bild zu schießen, auf dem das Kind wirklich perfekt dreinschaut
2. Man kann aus mehreren gelungenen Fotos in GIMP eine Filmstreifen-Collage erstellen. Das freut die Eltern weil es sich unheimlich gut an der Wohnzimmerwand macht.

Und selbst im schlechtesten Fall bekommt man so immer noch vielleicht den lustig anzusehenden Verlauf eines Babygesichts, das binnen zehn Fotos von “Süßes Grinsen” zu “tränenersticktes Elend” wechselt. Vor kurzem traf ich noch eine Mutter, deren Tochter ich vor über fünf Jahren fotografiert hatte. Sie sagte mir, dass diese “Heul-Collage” ihr selbst heute noch ein herzliches Lachen aufs Gesicht zaubern würde.

7. LASSEN SIE DAS BABY POSEN
Ich glaube, ich habe im Rahmen von Vorgesprächen mittlerweile rund fünftausend Instagram- und Pinterest-Babybilder mit einem “so stellen wir uns das vor” serviert bekommen. Ich lächle dann immer, weil ich weiß, dass das Kind, wenn die Eltern versuchen, es genau in diese Positur zu bringen, seinen Kopf durchsetzen wird. 

Mittlerweile gehe ich mit einer geradezu anarchistischen Planlosigkeit in solche Shootings hinein. Denn ob das Kind sich nun streckt, seine Finger betrachtet oder mit dicken Kulleraugen zu den Eltern blickt: Jeder Moment, in dem es nicht weint, ist superschön und wert, abgelichtet zu werden. Und die allermeisten Eltern gaben mir hinterher Recht, weil ihr Kind durch das Fotografieren seiner ganz persönlichen Körperhaltung und Stimmung sehr viel besser wirkte, als in irgendeine, aus dem Netz gezogene Vorlage gezwungen. Deshalb möchte ich das auch weitergeben: Nur eine einstellige Zahl von “Muss-Posen” durchziehen. Und dazwischen einfach bloß mit der Kamera im Anschlag warten, hinterherkrabbeln und dabei den Auslöser drücken.

FAZIT
Bei der Babyfotografie kommt man nur mit Ruhe und Geduld weiter. Alle Versuche, zu forcieren, scheitern meist in einem weinenden Kind. Weniger ist mehr, deshalb ist es meist das Beste, ein Babyshooting wie eine Reportage aufzuziehen: Bereitsein, draufhalten und die ganz Kleinen in ihren freiwillig besten Momenten einfangen.

Autor: red