„Neu sehen“ im Städel Museum Frankfurt

DIE FOTOGRAFIE DER 20ER UND 30ER JAHRE

Die Weimarer Republik (1918–1933) war eine Zeit großer Innovationen in der modernen Fotografie. Zahlreiche Fotografinnen und Fotografen bedienten mit ihren Werken eine immer stärkere Nachfrage nach Bildern für Presse und Werbung oder publizierten ihre Aufnahmen in aufwendigen Fotobüchern. Ein Katalysator für diese Entwicklung war die Erfindung der Kleinbildkamera in den 20er Jahren, die eine bislang nie dagewesene Bewegungsfreiheit ermöglichte. Ungewöhnliche Blickwinkel, steile Auf- und Untersichten sowie Detailaufnahmen zeugen von einer neuen Experimentierfreude in der Fotografie.

Als Schlagwort für diese moderne Ästhetik bürgerte sich der Begriff „Neu Sehen“ ein – eine Aufforderung, die man gleichermaßen auf das Fotografieren wie auf das Betrachten beziehen kann. Die Bildsprache wurde direkter, klarer und vielfach grafischer. In ihrer nüchternen Strenge entsprach sie dem Bedürfnis einer Gesellschaft, die nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs realitätsnahe Darstellungen bevorzugte. Bis zum 24. Oktober 2021 beleuchtet das Städel Museum die unterschiedlichen Tendenzen in der Fotografie der Moderne. Anhand von einer Einführung und sieben thematischen Kapiteln vermittelt die Ausstellung „Neu Sehen“ die Fotografie der 20er und 30er Jahre“ und einen Eindruck von den verschiedenen Gebrauchskontexten der Fotografie in der Zwischenkriegszeit. Sie gibt dabei auch immer wieder Ausblicke in die 30er Jahre, in der die Fotografie zunehmend als Kommunikationsmittel für die politische Propaganda der Nationalsozialisten instrumentalisiert wurde.

Die Themenbereiche umfassen die Etablierung der Fotografie an Fach- und Kunsthochschulen, die fotografische Illustration und Bildberichterstattung, die sach- und naturwissenschaftsbezogene Fotografie, die Bildnisfotografie sowie den Einsatz der Fotografie in der Werbung, Industrie und für die politische Propaganda. Historische Zeitschriften, Fotobücher und Plakate ergänzen die präsentierten Arbeiten.

Unter den über 100 Fotografien finden sich prominente Vertreterinnen und Vertreter des Mediums wie Alfred Ehrhardt, Hans Finsler, Lotte Jacobi, Felix H. Man, Albert Renger-Patzsch, Erich Salomon, August Sander, Umbo, Paul Wolff oder Yva sowie eine Reihe kaum bekannter wie Carl Albiker, Karl Theodor Gremmler und Paul W. John. Bis auf wenige Leihgaben stammen die präsentierten Aufnahmen aus dem mehr als 5.000 Fotografien umfassenden Bestand des Städel Museums.

„Innerhalb von nur wenigen Jahren ist es dem Städel Museum gelungen, eine Fotosammlung von internationaler Bedeutung aufzubauen. Einen besonderen Schwerpunkt bildet darin die Fotografie der Weimarer Republik, die eine Zeit des epochalen Wandels für das Bildmedium darstellt. Die Städel Ausstellung „Neu Sehen“ präsentiert überblicksartig die Vielfalt an Gestaltungstendenzen der fotografischen Moderne in den 20er und 30er Jahren“, so Städel Direktor Philipp Demandt.

„Fotografien werden in heutigen Ausstellungen meist ohne den jeweiligen Kontext gezeigt, in dem sie entstanden sind. Als Kunstwerke von eigener Bedeutung liegt der Schwerpunkt auf der ästhetischen Wertschätzung des Originalabzugs. Die meisten Fotografien entstanden jedoch für einen spezifischen Verwendungszweck. Die Aufnahmen waren für Zeitungen, Plakate, Magazine oder Werbeanzeigen gedacht, manche wurden nachträglich zugeführt. Die Ausstellung macht diese ursprünglichen Entstehungszusammenhänge wieder sichtbar und veranschaulicht die Gebrauchsweisen der Fotografie“, erläutert Kristina Lemke, Sammlungsleiterin Fotografie und Kuratorin der Ausstellung.

Die Ausstellung „Neu Sehen. Die Fotografie der 20er und 30er Jahre“ gibt einen fundierten Einblick in neuartige Tendenzen innerhalb der Fotografielandschaft und zeigt zugleich Funktion und Wirkung der einzelnen Aufnahmen. Darüber hinaus werden die sehr unterschiedlichen und wechselvollen Biografien der einzelnen Fotografinnen und Fotografen vorgestellt, mit dem Ziel, die öffentliche Wahrnehmung wieder zu stärken.

Liste der ausgestellten Fotografinnen und Fotografen:
Carl Albiker, Gertrud Arndt, Atelier Manassé, Ilse Bing, Karl Blossfeldt, Margaret Bourke-White, Walter Dexel, Hugo Erfurth, Alfred Erhardt, T. Lux Feininger, Hans Finsler, Trude Fleischmann, Max Göllner, Hein Gorny, Karl Theodor Gremmler, Elisabeth Hase, Walter Hege, Heinrich Hoffmann, Lotte Jacobi, Paul W. John, Fred Koch, Max Krajewski, Stefan Kruckenhauser, Karl Krüger, Adolf Lazi, Erna Lendvai-Dircksen, Helmar Lerski, Madame d’Ora, Felix H. Man, Lucia Moholy, Martin Munkácsi, Max Peiffer Watenphul, Georgij Petrussow, Albert Renger-Patzsch, Hans Retzlaff, Hans Robertson, Alexander Rodtschenko, Werner Rohde, Lothar Rübelt, Erich Salomon, August Sander, Arkadi Schaichet, Max Schirner, Hugo Schmölz, Fritz Schreiber, Herbert Schürmann, Friedrich Seidenstücker, Anton Stankowski, Sasha und Cami Stone, Wolf Strache, Carl Strüwe, Umbo (Otto Umbehr), Hans Volger, Kurt Warnekros, Paul Wolff, Yva, Hannelore Ziegler, Willi Zielke.

www.staedelmuseum.de