Muhammad Ali und Thomas Hoepker

Rückblick auf sieben Jahrzehnte

Heute wäre die Boxikone Muhammad Ali 80 Jahre alt geworden. Ein Wiedersehen mit dieser Legende bietet das Ernst Leitz Museum Wetzlar vom 1. April. bis zum 17. Juli unter dem Titel „Thomas Hoepker – Bilderfabrikant“. Der Fotograf pflegte eine besonders locker Beziehung zu Muhammad Ali und so gelangen unvergessenen Bilder. Aber nicht nur werden in Wetzlar gezeigt: Es handelt sich um eine umfangreiche Retrospektive des deutschen Magnum-Fotografen.

Wie kaum ein anderer hat Thomas Hoepker den deutschen Bildjournalismus seit den 1960er-Jahren mitgeprägt. Zu Beginn als fester Mitarbeiter wichtiger Magazine, als Fotograf und Korrespondent, aber auch als Artdirector und international renommierter Magnum-Fotograf zählt er heute zu den wichtigsten Vertretern eines engagierten, emphatischen Bildjournalismus. Dabei hat er sich selbst immer ganz bescheiden als Auftragsfotograf, als „Bilderfabrikant“ verstanden. Als einer, der sich für nichts Geringeres als für die Wirklichkeit interessiert, für die Wahrhaftigkeit des Augenblicks. Dabei ist über die vielen Jahrzehnte seines aktiven Fotografenlebens längst ein Werk entstanden, das weit über den Entstehungskontext hinaus als vielschichtiges, eigenständiges, aber auch immens künstlerisches Werk gesehen wird. Unaufgeregt, subtil und fern von Sensationslust wurden viele seiner Motive durch ihre präzise Bildgestaltung und dichte Bildaussagen sowie Hoepkers feinem visuellen Gespür zu Ikonen der „concerned photography“.

1936 in München geboren, entstanden bereits im Alter von 14 Jahren erste Aufnahmen mit einer Glasplattenkamera. Dem Wunsch der Eltern entsprechend begann er zunächst ein ordentliches Studium in München, wobei Vorlesungen zur Kunstgeschichte und Archäologie sowie Museumsbesuche sein visuelles

Gespür bestens trainierten. Das Studium schloss Hoepker nicht ab, denn erste Anerkennungen stellten sich mit Preisen bei Wettbewerben wie „Jugend photographiert“ der photokina ein. Sein Erfolg brachte ihn Ende der 1950er-Jahre als Bildreporter zur „Münchner Illustrierten“, zwei Jahre später wechselte er in die Hamburger Redaktion von „Kristall“. Da das Magazin bereits Farbseiten druckte, konnte Hoepker schon damals mit Farbfilmen fotografieren – auch dabei blieb die Leica unentbehrliches Arbeitsinstrument. Ab 1959 arbeitete er für internationale Magazine und Jahrbücher, reiste für die Zeitschrift „Kristall“ mehrere Monate durch die USA. Ab 1964 gehörte er zum festen Fotografenstab des „stern“, dessen Bildsprache er nachhaltig – ab Ende der 1980er auch als Artdirector – prägte. 1976 zog Hoepker nach New York, 1989 wurde er das erste deutsche Mitglied der renommierten Agentur Magnum Photos, von 2003 bis 2007 war er ihr Präsident. Mit seiner zweiten Ehefrau, der Filmemacherin Christine Kruchen, entstehen weiterhin Dokumentarfilme. Hoepker lebt in New York und Berlin. Zahlreiche Auszeichnungen (u.a. 1968 Kulturpreis der DGPh). 2005 Stiftung mehrerer Tausend Fotografien an das Fotomuseum im Stadtmuseum München. 2014 wurde Hoepker mit dem Leica Hall of Fame Award geehrt.

Die Ausstellung „Thomas Hoepker – Bilderfabrikant“ im Ernst Leitz Museum präsentiert aus der Fülle des Lebenswerks ein breites Spektrum seiner Arbeiten; darunter auch ganz junge und nie gesehene Bilder. Unter den frühen Arbeiten befindet sich nicht zuletzt eine Serie, die 1963 im Auftrag von „Kristall“ in den USA entstand: Ausgestattet mit bestem Budget und ohne Zeitvorgabe der Chefredaktion erkundete er bei seiner Reise quer durch die USA ein Land voller Widersprüche, jenseits des von Westdeutschland damals als vorbildlich bewunderten „American way of life“. Beim „stern“ entwickelte er sein Talent weiter, in dem er begann, stärker in Reportagen als in Einzelbildern zu denken. Legendär sollte seine „Champ“-Reportage über Muhammad Ali werden, die er zusammen mit seiner späteren ersten Ehefrau Eva Windmöller als Autorin produzierte. Auch seine ab 1974 in der DDR entstandenen Reportagen sind heute eindrückliche Zeugnisse der Zeitgeschichte: Durch die Möglichkeit, seine als Journalistin in Ost-Berlin akkreditierte Ehefrau zu begleiten, war er einer der wenigen Bildkorrespondenten, die den Alltag in der DDR über mehrere Jahre in eigener Anschauung erkunden konnten.

Im Werk Hoepkers tritt vor allem sein Interesse an gesellschaftlichen Themen und am Menschen hervor. Der humanistische Ansatz prägt seine Arbeit. Authentizität und die fotografische Zeugnishaftigkeit sind die prägenden Konstanten seiner Arbeit. Kein Schockbild lässt sich finden; eher sind es die stillen alltäglichen Dramen, die er in sensiblen und subtilen Fotografien eingefangen hat. Eines seiner bekanntesten Bilder ist heute eine Aufnahme vom 11. September 2001 aus New York. Sie wurde erst 2005 erstmals ausgestellt und hat seitdem immer wieder heftige Diskussionen ausgelöst. Der zufällige Moment, aber auch ihre Perfektion haben diese Fotografie zu einem ersten Symbolbild des 21. Jahrhunderts werden lassen. Sie ist eines der unzähligen Bilder, die Hoepker über die letzten sieben Dekaden gefertigt hat. Bilder, die bleiben.

www.ernst-leitz-museum.com