JAN SCHLEGEL AUF ETHNO­LOGISCHER SPUREN­SUCHE

KÖRPERKUNST

Bekannt durch sein Wirken in Afrika und der daraus entstanden Serie Essence, führt Jan Schlegel sein Schaffen jetzt fort. In einem Interview erzählt er von den neuen Stämmen.

Tribes of our Generation – wie kam es zu dem Namen?
In Essence, der Serie, an der ich zuvor gearbeitet habe, porträtierte ich Stämme in Afrika. Dort habe ich auch meine Technik entwickelt, mit der ich immer noch Menschen fotografiere. Leider musste ich feststellen, dass die Stämme dort wegen der immer schneller werdenden Globalisierung immer mehr aussterben. Einmal habe ich in Afrika ein Mädchen mit riesigen Ohrringen fotografiert, das fand ich sehr beeindruckend. Als ich dann auf dem Heimweg von dem Trip in Paris auf meinen Anschluss warten musste, kam ein europäisches Mädchen an mir vorbei – mit genau den gleichen Ohrringen, wie ich sie zuvor in Afrika gesehen hatte. Ziemlich beeindruckt habe ich mich danach lange mit der Jugendkultur befasst und festgestellt, dass viele afrikanische Elemente auch in der heutigen Jugend zu finden sind; in einer Zeit, in der alles immer mehr vereinheitlicht wird. Egal ob in Shanghai, Paris oder Berlin: Überall trägt man die gleiche Mode, telefoniert mit den gleichen Handys, hat die gleichen Helden. Und dann gibt es da diese Gruppe, die sich dagegenstemmt. Man sieht sich als Gemeinschaft, man hat seine eigene Weltanschauung, eigene Visionen und eine klare Vorstellung vom Leben. Vor allem aber befassen sich die jungen Leute mit ihrer eigenen Identität, sie wollen wissen, wer sie sind und wohin sie wollen. Wir verlieren tragischerweise die Stämme in Afrika, aber auf der anderen Seite entstehen neue Stämme – das fasziniert mich.

Was für Schlüsse hast du daraus für dich selbst gezogen?
Prinzipiell bin ich neutral an die Sache herangegangen, genau wie bei den afrikanischen Stämmen. Man muss offen sein und darf da nicht mit Klischees rangehen. Dadurch hat das bei mir viele Fragen aufgeworfen. Wie will ich leben? Was sind meine Werte? Was sind die Dinge, auf die ich Einfluss nehmen will, und auch: Wie möchte ich fotografieren? Will ich Klischees präsentieren oder will ich versuchen, Ehrlichkeit und etwas Reales einzubringen und dadurch wirklich Einfluss zu nehmen? Und die Leute dazu bringen, dass sie sich Gedanken über ihr Leben machen. Welchen Einfluss hat Fotografie auf junge Leute? Besonders mit den perfekten Körpern und Gesichtern, die man heute zu sehen bekommt. Das führt zu regelrechten Identitätskrisen und Depressionen – weil es unerreichbar ist. Das hat mich fragen lassen: Was ist eigentlich Schönheit? Wie definiert man sie, wie sieht sie wirklich aus? Und an diesem Thema bin ich immer noch dran.

Wen willst du mit deinen Bildern erreichen?
Ich denke, Kunst ist dazu da, die Zeit zu zeigen, in der wir leben. Und das ist für jedermann. Am Anfang dachte ich, die breite Masse wird meine Bilder kritisch sehen. Als ich aber in Oslo nach meiner ersten Ausstellung mit den Bildern diese positive Resonanz bekam, war ich total begeistert. Vor allem, was die Bilder bei den Besuchern auslösten. Deshalb will ich sie für alle und nicht nur für Randgruppen zugänglich machen. Gerade erst hatte ich meine Ausstellungseröffnung in Nürnberg, und da kam diese ältere Frau auf mich zu – ich dachte schon, die wird bestimmt entsetzt sein. Aber sie sagte mir: “Du schaffst es, Schönheit zu zeigen, wie man sie normalerweise nie sehen würde. Deine Bilder bewegen mich.” Das fand ich enorm, das hätte ich nie erwartet.

Dafür ist Fotografie ja eigentlich auch da. Um zu zeigen, was ist.
Genau, ich will aber nicht provozieren. Ich will inspirieren. Der Betrachter soll eine Begegnung haben. Die Fotografien sind sehr scharf, sehr detailliert. Aufgenommen in einer Dunkelkammer und unscharf maskiert. Sie zeigen hohe Kontraste und intensive Augen.

Woher kommen deine Models?
Als ich mich über die Jugendkultur informiert habe, stieß ich auf Anna Sommler (das Model mit dem Oktopus), sie ist eine Art Ikone für die Szene. Ich habe sie eine Woche lang in England besucht und konnte dort viele Kontakte knüpfen. In St. Petersburg habe ich ebenfalls die Szene aufgesucht. Das ist quasi die Hochburg dieses Stammesdenkens. Ich wurde wirklich herzlich aufgenommen und gewann viele Freunde. Ich finde einfach, dass bei uns alles so gesättigt ist, keiner hat mehr “Hunger”. Und dort wollen junge Menschen etwas bewirken. Man hat das Gefühl, da herrscht Energie. Davon habe ich mich danach auch ein wenig anstecken lassen. Es ist hier so einfach, ein gutes Leben zu führen.

Den gesamten Artikel finden Sie in der PHOTOGRAPHIE-ePaper-Ausgabe 12/2018.

JAN SCHLEGEL

Neben seinen eigenen Projekten, für die Jan Schlegel regelmäßig weltweit unterwegs ist, bietet der Fotograf auch Workshops an. Bei einer zweitägigen Porträtschulung bringt er die Kunst in klassischem Schwarz-Weiß nahe. Außerdem kann man in vier Tagen beim “Classical black and white nude Portrait”-Workshop nicht nur das Fotografieren, sondern auch die Bildentwicklung erlernen. Zusätzlich können Interessierte sich an einem Tag die Basics der Analogfotografie aneignen. Neben der Theorie entwickeln die Besucher dort auch ihre eigenen ersten Bilder. Last but not least bietet Schlegel zusätzlich eine dreitägige Meisterschule an. Hier kommen auch fortgeschrittene Dunkelkammer-Enthusiasten voll auf ihre Kosten. www.jan-schlegel.com

Fotos: Jan Schlegel
Autor: Roman Späth