Heidi und Hans-Jürgen Koch in Zingst

Fiese Gewächse

Heidi und Hans-Jürgen Koch sind zurück in Zingst und zeigen im Max Hünten Haus bis zum 07. Mai 2023 ihr neuestes Projekt: “Fiese Gewächse und solche mit krimineller Vergangenheit.” In der Ausstellung erstrahlen Blumen und Pflanzen in den prächtigsten Farben, denen man aber besser nicht zu nah kommt, wie ein Blick in die Historie verrät.

“Gibt es etwas Unschuldigeres als Pflanzen? Oh, wie naiv! Das Böse lauert überall. Am Straßenrand, beim Waldspaziergang, im Park, Garten und Wohnzimmer, in der Gemüsesuppe. Das Leben ist brutal. Besonders für Pflanzen. Sie können nicht einfach davonlaufen. An Ort und Stelle müssen sie sich verteidigen. Ihr Modus Operandi: Gift. Die Opfer leiden. Schweißausbrüche, Wahnvorstellungen, Lähmungen, Pulsrasen, Kammerflimmern, Krämpfe, Koma. Und Pflanzen töten. Atemstillstand, Herzversagen, erlösender Exitus. Aber sie können nichts dafür, es liegt in ihren Genen. Ja, manche heilen auch. Also gelten mildernde Umstände. Mehr aber nicht.” So beschreiben die vielfach ausgezeichneten Fotografen Heidi und Hans-Jürgen Koch ihre neue Serie und zeigen zum Teil überraschend giftige Bekannte aus dem eigenen Garten oder Blumenbeet.
Dieser unterhaltsame, kulturhistorische Abriss ins Pflanzendasein stimmt die Galeriebesucher auf das diesjährige Festival-Thema “FLORA” ein.

Heidi und Hans-Jürgen Koch sprechen über die Arbeit an ihrem neuen Projekt “Fiese Gewächse und solche mit krimineller Vergangenheit” mit Kuratorin Edda Fahrenhorst: Von der ersten Idee, über das Pflanzen-Casting bis hin zu überraschenden Wendungen, geben sie im Interview mit einen heiteren Einblick.

Wie seid Ihr auf das Thema gekommen und was fasziniert Euch daran?

Nun, da kam Corona. Und nichts ging mehr. Das Reisen und viele andere Dinge waren vorbei. Paralysiert auf bessere Zeiten warten, wollten wir nicht. Wir stöberten nach „coronakonformen“ Projekten vor der Haustür. Da wir ein Faible für Underdogs jeglicher Art haben und außerdem Lebewesen so ziemlich alles zutrauen, wuchs ein kleines gemeines Pflänzchen in unseren Köpfen. Das haben wir dann kultiviert. Wir schlugen GEO das Thema vor und erhielten einen Auftrag.

Wie sah die Recherche zu dem Projekt aus? Und nach welchen Kriterien habt Ihr ausgewählt?

In einer Basisrecherche haben wir eine Must-have-Liste erstellt. Unsere Protagonisten haben wir nach ihrer visuellen Attraktivität, Bösartigkeit und erzählenswerter Vorgeschichte ausgesucht. Das Pflanzen-Casting fand dann im Spannungsfeld zwischen Kopf und Bauch statt. Unsere Wunschliste wurde allerdings von der Realität limitiert. Was blüht wann? Wo bekommen wir die Pflanzen her? Das war eine intensive Fahndung. Es gab Kandidaten, die man nicht so leicht findet. Wo gibt’s den Gefleckten Schierling? Wo wächst in unserer Gegend der Gemeine Stechapfel? Diese Exemplare wollten wir unbedingt haben. Solche zu lösenden Aufgaben erforderten die Aktivierung unseres ländlichen Netzwerks: Umweltverbände, Rathaus, Stadtgärtnerei, Botaniker a.D., Gutsherren, und so weiter und so fort. Ohne diese gutmütigen und uns wohlgesonnenen Leute wären wir ziemlich hilflos gewesen.

Ambrosia wollten wir unbedingt fotografieren. Die Pollen dieses Krauts sind heftige Allergie-Auslöser. Eines Tages ging es unserem Gärtner sehr schlecht. Atemprobleme, Verdacht auf Herzinfarkt: Rettungswagen, Blaulicht, Sirene, Krankenhaus, das ganze Programm. Nicht weit von unserem Grundstück entfernt hatte der geplagte Mann nach der Begegnung mit einer Ambrosia einen anaphylaktischen Schock erlitten. Da waren wir uns einig: so wichtig ist das Gewächs nun auch wieder nicht.

Welche giftige Pflanze hat Euch selber am meisten überrascht?

Mehr als erstaunt hat uns die Tatsache, dass man hochgiftige Pflanzen problemlos im Gartencenter um die Ecke kaufen oder im Internet bestellen kann. Besonders Samen haben es in sich. Rhizin zum Beispiel, 25.000 mal giftiger als Strychnin. Diese Samen haben das Zeug zur Biowaffe. Oder Mintolla-Bälle; das sind die großen Samen des Zerberusbaums. Zerberus ist der hässliche dreiköpfige Köter, der in der griechischen Mythologie den Eingang zur Unterwelt bewacht. Man nennt den Zerberusbaum aus gutem Grund auch Selbstmordbaum. Auch die Samen des gefleckten Schierlings kann man tütchenweise erwerben. Jeder kann sich seinen Schierlingsbecher brauen. Also bitte…

In der fotografischen Umsetzung variiert Ihr in der Darstellung – wie habt Ihr an den Bildern, der Serie gearbeitet?

Sagen wir mal so: falls es die Umstände und unsere Fähigkeiten erlauben, versuchen wir meist, einem klaren ästhetischen Konzept zu folgen. Das, was wir bei den Giftpflanzen im Kopf hatten, konnten wir nur im Studio realisieren. Wir wollten definitiv keine „Blümchenfotografie“. Wir wollten kein verträumtes Bokeh, keine verharmlosenden Unschärfen, sondern schonungslose Klarheit, fast schon einen forensischen Blick.

Das technische Mittel zu unserem visuellen Zugang war „Focus Stacking“. Mit Hilfe eines computergesteuerten, hochpräzisen Schlittens, auf dem sich die Kamera befindet, wurde eine Reihe von Belichtungen mit unterschiedlichen Schärfeebenen erstellt. Anschließend wurden die Einzelbelichtungen mit einer speziellen Software zu einem Bild mit extremer Tiefenschärfe zusammengesetzt.

Die Auswahl der passenden Hintergründe haben wir wieder dem Kopf-Bauch-Team überlassen. Eigentlich haben wir unsere Bilder im Kopf und müssen die Motive nur noch einsammeln. Das ist allerdings das bestmögliche Szenario. Wie wir alle wissen, ist die Wirklichkeit manchmal anderer Meinung. Bei Studioarbeiten wird bei uns viel „ausprobiert“, aber nennen wir es lieber „das Spiel mit den Möglichkeiten“.

Es lag in der Natur dieser Produktion, dass sich die ganze Angelegenheit etwas hinzog. Das brauchte auch eine gute Portion Fatalismus, insbesondere, wenn die Technik versagte und leider manchmal auch die Fotografen. Einige Bilder waren schlicht schlecht. Unsere Schuld. Also reset und wieder von vorn. Jedenfalls gab es viel Spielraum für multiple Höhepunkte, die jeweils durch entsprechende Tiefpunkte bestraft wurden.

Letztlich haben wir einen Corona-Winter und einen Corona-Sommer und einen Corona-Herbst an dem Projekt gearbeitet. Zwischen der ersten und letzten Belichtung lagen 180 Tage – und 14.813 Fotos. Und natürlich kam dann noch die Nachbearbeitung am Computer dazu. Da haben wir verdrängt, wie lange das gedauert hat.

Habt Ihr ein Lieblingsbild?

Unser Favorit ist das Alpenveilchen vor der Blümchentapete. Beim Kauf in der Gärtnerei hing an der Pflanze ein Schild, auf dem stand: „Omas Liebling“. Da wussten wir, wie das Foto aussehen musste. Das ist unser Schlüsselbild für das Projekt.

Unsere Lieblingspflanzen sind alle, die in unserer eigenen toxischen Umgebung das Fotografieren überlebt haben. Denn, am Ende des Projektes hatten wir zwar ein hübsches Giftpflanzen-Arsenal, aber die Wahrheit ist auch: Dem Zustand mancher Gewächse nach zu urteilen, besaßen wir offensichtlich keine grünen Daumen, leider. Glücklicherweise war mit den Auslösefingern für die Kameras jedoch alles in Ordnung. Das hat es wohl wettgemacht.

Die Midissage “Fiese Gewächse” findet am 6. April, um 18 Uhr, im Max Hünten Haus statt. An diesem Tag sind anwesend und führen durch die Ausstellung: die Fotografen Heidi und Hans-Jürgen Koch, Lars Lindemann, Bildchef vom GEO Magazin und die Kuratorin Edda Fahrenhorst.

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