100 Jahre Leica I

Kleines Format mit großer Wirkung

Text: Bernd Kieckhöfel

Im Obergeschoss der Turnhalle am Frankfurter Tor wurde 1925 Fotogeschichte geschrieben: Leitz präsentierte auf der Leipziger Frühjahrsmesse die erste in Serie gefertigte Kleinbildkamera. Der kleine Fotoapparat zog die Aufmerksamkeit der Welt auf sich. Doch sein winziges Negativ, nicht größer als eine Briefmarke, erntete zunächst viel Spott. Im Vergleich zu etablierten Formaten war das grobkörnige Filmmaterial der schwächste Punkt. Aber aufhalten konnte dieses Manko den Erfolg kaum. Denn die Leica ermöglichte eine völlig neue Art des Fotografierens: Erstmals konnten bis zu 36 Bilder in schneller Folge aufgenommen werden, spontan, unauffällig oder gar heimlich. Eine Sensation, die die Fotografie für immer verändern sollte. Um Oskar Barnacks Erfindung ranken sich bis heute Mythen und Anekdoten, deren Wahrheitsgehalt nicht immer eindeutig zu bestimmen ist. Allerdings gibt es neben den Legenden auch fundierte Fakten und gut belegte Erklärungen, die ein differenziertes Bild dieser fotografischen Revolution zeichnen. Barnack war keineswegs der erste, der versuchte, mit Kinofilm zu fotografieren. Zu dem günstigen und weitverbreiteten Material gab es keine Alternative. Doch im Gegensatz zu anderen fand Barnack fand einen Weg, das Filmkorn weniger dominant erscheinen zu lassen.

Es begann mit dem „Liliput“

Wann er mit dem Bau des von ihm „Liliput“ genannten Prototyps der Ur-Leica begann, ist nicht bekannt. Seine Leidenschaft fürs Filmen könnte den Anstoß gegeben haben. In diesem Kontext hatte er eine Vorrichtung für einzelne (fotografische) Probebelichtungen auf einem kurzen Filmstreifen konstruiert. Nach dessen Entwicklung ließ sich damit die optimale Belichtungszeit für die Filmkamera ermitteln. Möglicherweise wurde das Hilfsmittel zur Basis des Prototyps. Weltbekannt ist hingegen seine erste Aufnahme. Sie entstand 1913 in Wetzlar auf dem Eisenmarkt, weitgehend unbemerkt von Passanten. Die Begeisterung über das gelungene Experiment nach Jahren des Tüftelns dürfte groß gewesen sein. Im Jahr darauf dokumentierte Ernst Leitz II seine USA-Reise mit einem der Prototypen und war vom Ergebnis angetan. Die Kamera versprach Potenzial. Trotz der noch hakeligen Handhabung: Das Objektiv war beim Filmtransport abzudecken, der Sucher bestand aus einem Metallrahmen, der den Bildausschnitt bestenfalls andeutete, die Entfernung musste geschätzt und am Objektiv eingestellt werden. Zuvor war der Film im Dunkeln bei abgeschraubtem Kameraboden reinzufummeln, an der Aufwickelspule zu fixieren und der Boden mit Schrauben wieder zu befestigen.

Romanvorlage

Der Leica-Roman „Das Licht im Rücken“ von Sandra Lüpkes macht auch diese Erfahrungen humorvoll erlebbar. Als Ernst Leitz II nach dem gewonnenen Dunkelkammer-Kampf endlich das erste Foto seiner Frau macht, liest sich das so: „Aber ist das richtig, dass die Linse abgedeckt ist?, fragt Hedwig ungnädig. Ach wie blöd!, sagt der Zweite. Schiebt die Klappe hektisch hoch, erinnert sich prompt, dass man das keinesfalls darf, weil jetzt doppelt belichtet wurde, macht die Klappe also wieder runter, spult weiter – immerhin, es ratscht! Klappe hoch. Apparat vor das Gesicht. … Bei aller Liebe, an dieses Prozedere wird die Welt sich noch gewöhnen müssen.“ Doch das musste sie nicht. Der Erste Weltkrieg veränderte zwar die Prioritäten bei Leitz und stellte die Entwicklung der Leica zurück. Aber Barnack tüftelte weiter. Er konstruierte einen präzisen Verschlussmechanismus, eine Doppelbelichtungssperre und einen einfachen Sucher für das 1923 vorgestellte Vorserienmodell. Und eine Patrone, die vorab mit Film bestückt das Einlegen vereinfachte. Diese sogenannte 0-Serie, mit dem ersten von Max Berek berechneten Objektiv Elmax 1:3,5 F = 50 mm bestückt, werteten Berufsfotografen als Spielzeug und vorübergehende Modeerscheinung ab.

Mit 14 Jahren begann Barnack eine Mechaniker-Lehre in einer Berliner Werkstatt, die uhrwerkbetriebene Modelle für den astronomischen Unterricht herstellte. Als Geselle ging er, wie damals üblich, ab 1897 auf die Walz. Seine Wanderjahre endeten bei Zeiss in Jena. Dort lernte er Emil Mechau kennen, den Erfinder des flimmerfreien Mechau-Filmprojektors. Die Kinematographie und ihre Apparate faszinierten Barnack nachhaltig. Mechau wechselte zu Leitz, weil er dort bessere Voraussetzungen für die Produktion seines Projektors fand. Ab 1911 hatte Barnack ebenfalls eine Anstellung bei Leitz, die es ihm auch ermöglichte, seiner Leidenschaft fürs Filmen zu frönen. Mit einer selbstkonstruierten Filmkamera, heute im Besitz der Leica Camera AG, hielt er Ereignisse in und um Wetzlar fest. Zum Repertoire gehörten auch Firmenporträts der Leitz-Werke, die Einblick in die Serienproduktion der Leica gewähren. Auf filmportal.de zeigt das Deutsche Filminstitut & Filmmuseum (DFF) eine Auswahl. Ernst Leitz III wird dort zur Machart der Barnack-Filme zitiert: “In der Art, wie er die Szenen erfasste, konnte er es mit einem Wochenschau-Reporter aufnehmen.”

Ernst Leitz soll das einige Jahre später mit „irren ist menschlich“ kommentiert haben. Die Entscheidung, trotz aller Widerstände und Unwägbarkeiten mit der Kamera in Serie zu gehen, war mutig. Den Apparat, kaum größer, nur deutlich dicker als heute übliche Smartphones, beschrieb Leitz zunächst recht konservativ. Ungelenk wirkende Worte zählten Eigenschaften auf: „… kleinste Schlitzverschluß-Kamera … 36 Aufnahmen … Bildformat 24×36 mm … äußerste Handlichkeit … schnellste Aufnahmebereitschaft“. Etwas später bewarb man die „Leitz Leica Camera“ als „Revolution in der Photographie“. Anzeigen mutierten zur typografischen Kakophonie aufgeführter Features, plakativ in zehn verschiedenen Schriftgrößen mit unterschiedlichen Laufweiten gesetzt. „Kleine Aufnahmen. Große Bilder … und Billige Negative“ führten die lange Auflistung an.

Der Kostenvorteil

Ein Film für 36 Aufnahmen kostete weniger als eine Reichsmark. Doch im Vergleich zu gängigen 13 x 18 Zentimeter großen Fotoplatten offenbarten die Vergrößerungen der winzigen Negative große Schwächen: Die grobe Kornstruktur des Kinofilms konnte nur bedingt befriedigen und erlaubte bestenfalls postkartengroße Bilder. Unbeachtet blieb der Vorteile deutlich größerer Schärfentiefe im Vergleich zu großen Formaten. Ähnlich hatten Fotografen über den Rollfilm bei seiner Einführung geurteilt. Die 1895 erfundene Tageslichtverpackung vereinfachte die Handhabung und hat sich bis heute kaum verändert. Amateure schätzten die Vorteile des Formats, das einfache Kontaktabzüge in brauchbarer Qualität ermöglichte. Der Erste Weltkrieg förderte sowohl die Popularität des Mediums als auch die Art zu fotografieren.

Kinokameras transportieren das Material vertikal (links). Für die Leica drehte Barnack den Film um 90 Grad. Eine Bildgröße von 24 x 36 Millimetern war der beste Kompromiss für die kleine Kamera und ihr Objektiv.

Ab 1915 setzten sich robuste Rollfilm- gegen mechanisch sensible Plattenkameras mit Glasträgern als Aufnahmemedium durch. 6 x 9 Zentimeter lieferten die maximale Bildgröße. 6 x 6 galt mit 12 Aufnahmen pro Film als pragmatischer Kompromiss. Zudem entfiel durch das Quadrat eine Entscheidung für Hoch- oder Querformat, was wiederum die Aufnahmebereitschaft erhöhte. Zeitungen akzeptierten die geringere Qualität der kleineren Negative zugunsten dynamischer Bilder der Kriegsberichterstatter. Nach dem Krieg kehrten die meisten Berufsfotografen der technischen Innovation den Rücken und bevorzugten weiterhin die gewohnten 13 x 18-Platten. Tele- und Weitwinkelaufnahmen bedingten ein Stativ, Innenaufnahmen ebenso. Gestellte Porträts im Theater unter Bühnenscheinwerfern erforderten eine Sekunde Belichtungszeit, Innenaufnahmen bei normalen Lichtbedingungen etwa eine halbe Minute. Blitzlichtpulver erweiterte die Möglichkeiten, doch der Einsatz auf öffentlichen Veranstaltungen setzte in Deutschland die Anwesenheit der Feuerwehr voraus. Die von Ernemann herausgebrachte Ermanox mit Ernostar-Objektiv 1.8/85 galt als weltweit lichtstärkste 4 x 6-Fotokamera.

Als einer der ersten brillierte der Wiener Theaterfotograf Hans Böhm 1924 mit während einer laufenden Vorstellung aufgenommenen Bildern. Später sorgte Erich Salomon für Aufsehen und eröffnete dem Fotojournalismus neue Dimensionen. Der promovierte Jurist kam als Quereinsteiger zur professionellen Fotografie. Frei vom Standesdünkel nutzte er die neuen technischen Möglichkeiten und überzeugte mit seinen Aufnahmen. Ungeachtet dieser Entwicklung hatte Ernst Leitz II, seit 1920 Alleininhaber des Unternehmens, mit dem oft kolportierten Satz „Ich entscheide hiermit: Es wird riskiert“ 1924 gegen den Rat seiner Manager die Serienproduktion der „Kleinfilmkamera“ beschlossen. Ein Begriff, der auch von Leitz lange genutzt wurde. „Kleinbildkamera“ und „Kleinbildformat“ etablierten sich erst in den 1930er-Jahren im Sprachgebrauch. Das unternehmerische Risiko war alles andere als klein. Die Währungsreform hatte Deutschland im Jahr zuvor nachhaltig erschüttert, viele Menschen hatten viel Geld verloren.

Ernst Leitz II dokumentierte 1914 seine USA-Reise mit dem Prototyp der Leica. © Leica Camera AG

Die Ruhrbesetzung verschärfte die Situation und trieb die Arbeitslosigkeit in neue Höhen. Wer sollte in diesen Zeiten für etwa 270 Reichsmark eine Kamera-Ausrüstung nebst notwendigem Vergrößerer kaufen? Und wo sollten Kaufwillige die Geräte erwerben? Der Fotofachhandel maß Leitz wenig Bedeutung bei und zeigte an fummeligen Vergrößerern kein Interesse. Man kannte das Unternehmen als Hersteller hochwertiger Mikroskope ohne Vertriebserfahrungen im Massenmarkt. Bis 1928 blieb die Leica ein Verlustgeschäft. Nur 13.000 der aus 190 Einzelteilen zusammengesetzten Kameras fanden Käufer. Doch bereits 1931 stieg ihre Anzahl auf 70.000 und zwei Jahre später trug die Leica 70 Prozent zum Unternehmensumsatz bei. Zu dieser Zeit wurde die Produktion der Ermanox eingestellt: Sie war lichtstark, nur ein Kilo schwer, aber langsam. Nach jeder Aufnahme mussten Platte oder Planfilm gewechselt werden. Währenddessen konnte die Leica fünf bis sechs Bilder ohne Unterbrechung aufnehmen.

Barnacks Motivation

Oskar Barnack galt als versierter, von Film- und Fotoapparaten begeisterter Feinmechaniker und leidenschaftlicher Wanderer. Seine Ausflüge in die Natur wollte er im Bild festhalten, ohne eine schwere, voluminöse Plattenkamera nebst Stativ und Glasplatten zu schleppen. Eine Option wäre die um 1900 von Kodak vorgestellte Brownie gewesen: 8 x 8 x 12 Zentimeter groß und nur 250 Gramm schwer. Ob er sie in Betracht gezogen hat, bleibt im Bereich der Spekulation. Sicher dürfte hingegen sein, dass der Pappwürfel mit nicht viel mehr als einem Stück Glas als Linse sein Feinmechaniker- Herz nicht erfüllt hätte. In der Stummfilmzeit maß das Aufnahmeformat eines Einzelbildes 18 x 24 Millimeter. Was für die Projektion bewegter Bilder (trotz enormer Vergrößerung auf der Leinwand) ausreichte. Barnack war geübt im Umgang mit Filmkameras. Eine Vergrößerung von Einzelbildern dürfte keine große Herausforderung gewesen sein, gleichwohl konnte ihn das Ergebnis nicht überzeugen.

Oberste Priorität und primäre Motivation blieb weiterhin eine möglichst kleine Kamera – zum Filmmaterial gab es keine Alternative. Alles andere ordnete er diesen Parametern unter. Sein Ziel erreichte Barnack durch die um 90 Grad gedrehte Filmführung. Das in einer Filmkamera vertikal laufende Material führte er quer durch seinen Prototyp und gewann so eine deutlich größere Fläche, die in der Vergrößerung weniger Korn erwarten ließ. Um die größere Fläche auszuleuchten, eigneten sich Brennweiten von 40 bis 60 Millimeter. Da es noch keine Fotoobjektive bei Leitz gab, griff Barnack auf Optiken für Mikroskope zurück und wählte eine Brennweite von 42 Millimetern. Im Leica-Museum in Wetzlar kann diese Antiquität bestaunt werden. Wenngleich alle verfügbaren Objektive die größere Bildfläche ausleuchteten, zeigten sich qualitative Unterschiede. Die Randschärfe der kürzesten Brennweite blieb hinter den Erwartungen zurück. Durch den leichten Teleeffekt der längsten Brennweite gelangte weniger Information aufs Bild.

Die ersten Filmpatronen für die Leica bestanden aus
drei Einzelteilen ohne Lichtdichtung. Mit orthochromatischem Film konnten sie in der Dunkelkammer
bei Rotlicht bestückt werden.

Geleitet von den technischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen definierte Barnack 24 x 36 Millimeter bei 5 Zentimeter Brennweite als den bestmöglichen Kompromiss für seine jackentaschentaugliche Kamera. Gegenüber dem Einzelbild des Kinofilms versprach die verdoppelte Größe bessere Bildqualität und 50-mm-Objektive boten gute Schärfe bei kompakter Bauform. Das Seitenverhältnis 3:2 war identisch zum Rollfilm im 6 x 9-Format, lag nah am 13 x 18-Format professioneller Platten-Kameras und bediente vorhandene Sehgewohnheiten. Für einen 13 x 18-Abzug können 20 bis 30 Zentimeter als Betrachtungsabstand angenommen werden. Aus dieser Entfernung lässt sich das gesamte Bild mit einem Blick erfassen, ohne die Augen zu bewegen.

Krude Theorien

Zu Bildgröße und Normalbrennweite des Kleinbildformats entstanden zahlreiche Theorien, die Barnacks Entscheidungen nachträglich erklären wollten. Angeführt wird beispielsweise der Sehwinkel des menschlichen Auges – welcher keineswegs eindeutig definiert ist und situativ variiert. Andere Ansätze versuchten über die Bilddiagonale des Formats von 43 Millimetern Erklärungen abzuleiten. Ästhetische Absichten werden ins Feld geführt, die eine besondere Harmonie zwischen Seitenverhältnis und Brennweite postulieren. Die Auffassung, dass 50 Millimeter einer „normalen“ Brennweite entsprechen, speist sich eher aus dem Erfolg der Leica und der damit verbundenen Popularität. Auf den ersten Blick besonders abstrus erscheint die Vermutung, dass die Anzahl von acht Perforationslöchern ausschlaggebend für die Wahl des Formats war.

Ein im Vergleich zum Rollfilm briefmarkengroßes Kleinbildnegativ und die grobkörnigen Vergrößerungen waren bis 1932 das größte Manko der Leica.

Ganz abwegig ist Annahme hingegen nicht. Barnack nutzte für seine Erfindung die genormte Transportmechanik von Filmkameras: Bei quer laufendem Film und einer Verdopplung der Bildbreite liegen exakt acht Löcher über einer Aufnahme. Die Annahmen zeigen typische Fehler induktiver Theoriebildung: Aus beobachtbaren Details (Bildformat und Brennweite) sollten allgemein gültige Schlüsse abgeleitet werden – ohne den damaligen technischen und wirtschaftlichen Rahmen zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die Leica mag auch ihre ikonische Rolle in der Fotografiegeschichte zur Heroisierung beigetragen haben. Trotz der von Barnack vergrößerten Bildfläche blieben das Filmmaterial und die Qualität der Vergrößerungen noch für einige Jahre der Engpass des kleinen Formats. Perutz hatte für Luftbildaufnahmen im Ersten Weltkrieg einen feinkörnigen und vergleichsweise lichtempfindlichen Film produziert, der für die Leica als „Spezial-Fliegerfilm“ lieferbar war. Mitte der 1920er-Jahre erschien eine besonders feinkörnige und lichthofgeschützte Version als „Spezial-Fliegerfilm-Antihalo“. Angeboten als Meterware zum Preis von 75 Reichspfennigen oder konfektioniert für die Leica: drei Spulen zu 5 Reichsmark. Neu war eine fortlaufende Nummerierung der Negative am Filmrand.

Filmmaterial mit Nachteilen

Ein weiteres Manko war die spektrale Empfindlichkeit der Schwarz-Weiß-Filme mit ihrer unterschiedlich ausgeprägten Umsetzung von Farben in Graustufen. Orthochromatisches Material ist besonders empfindlich für blaues Licht, jedoch nicht für rotes. Was für die Arbeit in der Dunkelkammer von Vorteil ist und eine Verarbeitung bei schwachem Rotlicht erlaubt – sich aber beim Fotografieren nachteilig auswirkt: Rote Bereiche werden sehr dunkel wiedergegeben und im Gegensatz dazu neigt der Himmel zur Überbelichtung. Beides prägt den typischen Ortho-Bildlook. Panchromatische Filme können fast das gesamte sichtbare Farbspektrum deutlich differenzierter in Graustufen umsetzen. Dieses Material war erst ab 1906 verfügbar und teurer. Die Verarbeitung muss bei absoluter Dunkelheit erfolgen, ange- PAUL WOLFF Der promovierte Arzt praktizierte nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr und machte sich in Frankfurt mit einer Großformatkamera als Industriefotograf selbständig. Er wurde zum Wegbereiter für den großen Erfolg der kleinen Kamera.

Als Quereinsteiger frei vom Dünkel gestandener Fotografen, wusste er die neue Technik geschickt zu nutzen. Heute würde man ihn als Leica-Ambassador bezeichnen, was auch impliziert, wie er zu seiner Kamera kam. Sein 1934 erschienenes Buch „Meine Erfahrungen mit der Leica“ entwickelte sich zum Bestseller. Darin berichtet er: „1925 war das erste Leica-Jahr, es bescherte auch mir die Leica, nachdem ich zwei Jahre zuvor im Werke Leitz eine Begegnung mit Oscar Barnack hatte, der mir eine der ersten Leicas zeigte mit der problematischen Frage, was ich davon halte.“ Was er davon hielt, ist nicht überliefert.

1925 lieferte Perutz den Antihalo-Film und Leitz die Dunkelkammer-
Ausrüstung. Agfa-Filme machten das Format ab 1932 populär.

Was er mit der Kamera machte, zeigen seine Bilder. Im Buch finden sich neben rund 200 akribisch beschriebenen Aufnahmen viele lesenswerte Anmerkungen des oftmals für seinen Erfolg angegriffenen Verfechters der Kleinbildfotografie. Mit etwas Glück ist das Buch heute ab 30 Euro im Antiquariat erhältlich. fangen vom Konfektionieren der Filmpatronen bis hin zur Entwicklung. Deutlichen Einfluss auf die Qualität des Negativs gewährten die Filmentwicklung, verfügbare Chemikalien sowie eine Vielzahl von Rezepten. Paul Wolff, ein wichtiger Wegbereiter für den Erfolg der Leica (siehe Kasten rechts), propagierte die einfache Regel: „Belichte reichlich, entwickle kurz!“

Der Durchbruch

Der Agfa Isochrom-Film brachte 1932 den Durchbruch. Leitz kaufte von Wolff 100 seiner besten Leica-Aufnahmen, die im Format 40 x 60 Zentimeter auf einer Wanderausstellung um die Welt gingen. Jetzt witterten auch Fotohändler ihre Chance und boten Labordienstleistungen an. Der Schnellkopierer Seriograph wirkte auf den ersten Blick wie eine Registrierkasse auf einem Nähmaschinentisch. Für eine Vergrößerung waren nur noch drei Handgriffe erforderlich. Über den Fußantrieb wurden 18 weitere Arbeitsschritte automatisch ausgeführt. Im selben Jahr setzte Zeiss Ikon mit der technisch brillanten Contax ebenfalls auf das Kleinbildformat. Agfa hielt weiter am Rollfilm fest und initiierte in Deutschland eine originelle Werbekampagne: Die simple 6 x 9-Kamera Box-44 konnte für vier Reichsmark erworben werden, wenn die Markstücke als Prägezeichen die Buchstaben A, G, F und A trugen. Innerhalb weniger Monate wanderte eine knappe Million Kameras über die Ladentheken und katapultierte den Filmumsatz in ungeahnte Höhen.

Doch aufhalten konnte Agfa den Siegeszug des Kleinbildformats nicht. 1936 sorgten radikal verbesserte Isopan-Filme für Aufsehen. Agfa bewarb die Neuheit selbstbewusst: „Entscheidender Sieg über das Korn!“ Und sprang im Jahr darauf mit einer ersten, noch klobigen Karat-Kamera zum Kampfpreis von 42 Reichsmark auf den Kleinbild-Zug auf. Die Verbesserungen (geringeres Korn und gesteigerte Lichtempfindlichkeit) erreichte Agfa durch den Zusatz einer Goldverbindung in homöopathischen Dosen. Patentiert wurde die Agfa- Rezeptur nie, aber bis 1945 geheim gehalten. Zu dieser Zeit setzte sich die von Kodak bereits vor über zehn Jahren eingeführte 135er-Kleinbildpatrone auch in Deutschland durch. Zum Ende der AnalogÄra hatte das anfangs verspottete Filmformat einen Marktanteil von rund 90 Prozent.